Danke wieder sehr an den Herrn rho für sein aktuelles Werk:
Wahrnehmung und Realität
Im Zug nach Berlin sitzen die Schmarotzerstudenten. In Frankfurt/Oder die Bildung einer der besten Unis des Landes genießen und am Abend zurück ins pulsierende Berlin und beim Latte in der Eckkneipe dort die Eingeborenen nerven. Von allem immer das Beste mitnehmen. Jaja. Wie ich darauf komme? Nun, meine sonstigen Mitfahrer hatten beschlossen, dass ich aussätzig bin, oder Oberhausen, dass es zu kalt ist, oder Oberhausen, dass eigentlich noch Winterpause ist, oder Oberhausen, und dass Freitag 18.00Uhr doch ne scheiß Zeit ist, oder/und Oberhausen. Jedenfalls sitz ich allein im Zug mit meiner schon ausgelesenen Zeitung und kann mir das altkluge Geschwätz der Elite von morgen anhören. Wenn man mal die Worthülsenanhäufungen weglässt (inhaltlich kommt nur maximal in jedem dritten Satz was), geht es unter anderem um die Fotografie und ihr Wirken in der Realität als objektives Kriterium für die Realität. Dies würde ich jetzt eigentlich gar nicht groß hervorheben, hätte ja auch schreiben können: bin mit dem Zug gefahren, hab nen Kaffee getrunken. Oder nicht mal das. Wenn sich nicht der gleiche Abend genau um diese Themen gedreht hätte.
Als erstes Beispiel hätten wir da die S-Bahn von Berlin. Seit einem Jahr wird sie gedisst und geschmäht, ob ihrer Unpünktlichkeit, ihres Nichtfahrens und überhaupt. Recht pünktlich steige ich in Erkner aus dem Zug, schlendere zum S-Bahngleis, steige in die gerade eingefahrene Bahn, welche sich keine drei Minuten später Richtung Köpenick in Bewegung setzt, und ohne erkennbare Verzögerung erreichen wir das Ziel. Weiß gar nicht, was ihr habt?
Nehmen wir die 54. Minute. Ein bisher recht einseitiger und unterhaltungsarmer Kick kommt so langsam in die Puschen. Oberhausen lässt in seiner Harmlosigkeit nicht viel zu, scheint auf einen Fehler von uns zu warten. Und wir wären nicht Union, wenn wir ihnen diese Gelegenheit nicht geben würden. Ein einfacher langer Ball reicht aus und unsere gesamte Abwehr ist ausgeschaltet. Einzig Jan Glinker ist auf der Hut, kommt rausgerannt und klärt 25 Meter vor dem Tor diese Situation. Er macht sich dabei so breit wie er kann, Arme und Brustkorb bilden dabei eine Wand. Aus meiner Warte ist dieser Einsatz regelkonform, ich stehe genau parallel zum Tatort und kann keine Unregelmäßigkeit erkennen. Mein Blick ist auch recht klar, außer einer heißen Schokolade war mir noch nicht nach Umtrunk. Der Jürgen, der heute den Schiri geben darf, sieht das genauso, und lässt weiterspielen.
Im DSF kennt man eine andere Realität. Die des sog. kritischen Journalismus. In der neunten Zeitlupe erkennt man eine leichte Berührung zwischen Achseln vom Jan und Ball. Eine Rote Karte fordern sie dann doch nicht. Und der Kollege von sky stuft die Sache noch mal ganz anders ein. Einig sind sich beide, war schwer zu sehen.
6 Minuten später entscheidet JJM mit seinem Geburtstagsgeschenk das Spiel für uns. In Halbzeit eins hatte er noch nach dem Motto “unsere Tore machen wir selbst“ eine prima Einladung von Oberhausens Pirson ausgeschlagen. Jetzt vollendete er die schönste Kombination des Spiels zum 1:0. Tja, aber wie? Während ich aus meiner Sicht nichts zu beanstanden sah, meinte der um 1,5 m anders postierte Zuschauerkollege ein Handspiel gesehen zu haben. Deshalb meinte er, sich nicht freuen zu können. Krass. Der Ball war drin und zählte, Team Babelsbergblau legte sich den Ball zum Anstoß zurecht. Aber Herr Schubi freut sich nicht. Irre.
Die Damen vom Sportfernsehen untersuchen diese Szene natürlich auch haargenau. Nach Zeitlupe Nummer 15 dann die Entdeckung: Torschütze John, Torerzielungskörperteil Oberarm, angelegt. Angeschossen vom Abwehrspieler aus Oberhausen. Regulär. Na bitte. Auf diesen Zusatz hätten sie dann übrigens auch verzichten können. Wenn man sich schon seinen Goldwaagentag nimmt, kann man dies auch stringent durchziehen. Weil wenn Schiri sagt Tor, dann Tor. Dit is ooch ne Regel, nich? Frag doch mal in Duisburg, hihi.
Dann mal zur nächsten Abweichung zwischen Wahrnehmung und Realität. Kurz nach dem Tor verlassen die Jungs hinterm Tor ihre Plätze und gehen einfach. In meinen Augen völlig überheblich. Immerhin war noch eine halbe Stunde zu spielen und ganz mausetot waren die Neu-Essener eigentlich nicht. Natürlich war dies nicht der Grund, dem Spiel nunmehr nicht mehr beizuwohnen. Wilde Spekulationen gab es dennoch in unserer Runde. Es sah aber auch einfach schräg aus: das Team, das man so bedingungslos unterstützt, schießt ein Tor, und der eben noch lautstarke Mob, der diesem doch recht langweiligem Kick noch die gewisse Note verleiht, dieser Mob geht einfach. Und wenn man 50 Meter daneben steht, auf der anderen Tribüne, quasi machtlos mit ansehen muss, wie sich das Herz der Waldseite selbst entfernt und an dieser Stelle eine Lücke bleibt, dann denkst du Sachen wie Kacke, Kinderkacke und fassungslose Kacke, und denkst dir letzten Endes völlig zu Recht, dass da doch ein wenig mehr als spontaner Supportboykott (eine der unsinnigsten Protestformen, immer mal wieder gern genommen, um für oder gegen irgendwas zu demonstrieren, z.B. für Preiserhöhungen in der Stadiongastronomie) im Spiel sein muss. So meine Wahrnehmung. Die Realität ist weit schlimmer und hat wohl noch ein Nachspiel. Keine „Kinderkacke“ (übrigens auch ein unsinniges Argument wenn ältere mit jüngeren reden!).
Die Anfeuerung dann im Nachgang auch etwas geschockt, aber nicht so viel schlechter, wie man gemeinhin denken könnte.
Der Rest des Spiels verlief dann wie der Beginn. Irgendwie abgeklärt, doch aber objektiv recht langweilig fuhren wir das Ding nach Hause, so machen das wohl Spitzenteams...Herr Neuhaus hatte dann wohl alles richtig gemacht, obwohl man ihm vorwerfen könnte, im eigenen Stadion zu defensiv an die Sache gegangen zu sein (suk), oder sich ohne Not seiner besten Alternative beraubt zu haben, in dem Marco Gebhardt sinnlos auf der Tribüne hockte, während das kreative Element verarmte (icke). Aber ein gutes Pferd springt nich höher, als es muss, wa? Und die Mathematik liefert die wohl objektivste Realität: 26+3=29, so einfach ist das.
rho



Eisern!