Über 2/3 der Tour sind nun absolviert und noch immer liegt ordentliche Spannung im Rennen um den Gesamtsieg 2011. Nachdem die ersten zehn Tage mit den Klassiker-Etappenenden, dem TTT, dem Etappensieg für Andre Greipel, zwei Ausreißersiegen und den Stürzen vieler Favoriten äußerst spektakulär verliefen, flachten die letzten 5 Etappen doch etwas ab. Was nicht daran lag, dass das Profil dieser Bergetappen und Bergankünfte nicht für spannende Rennen gemcht waren - ganz im Gegenteil. Aber das Belauern und zaghafte Taktieren der beiden Topfavoriten hat etwas Ernüchterung in die Euphorie der ersten Tourtage gebracht (zumindest bei mir). Trotzdem möchte ich nochmal die Chancen der einzelnen Fahrer in den einzelnen Klassements etwas genauer betrachten. Das Ganze unter dem Motto "Wenn das Wörtchen 'Wenn' nicht wär..."
Gesamtklassement - Gelbes Trikot1 Thomas VOECKLER
2 Frank SCHLECK ...... á 1'49''
3 Cadel EVANS .......... 2'06''
4 Andy SCHLECK ......... 2'15''
5 Ivan BASSO ........... 3'16''
6 Samuel SANCHEZ ....... 3'44''
7 Alberto CONTADOR ..... 4'00''
8 Damiano CUNEGO ....... 4'01''
Wie immer fange ich mit dem Titelverteidiger
Alberto Contador an. Der liegt nach zwei Bergankünften im Gesamtklassement "nur" auf Rang 7. Auf die anderen drei großen Favoriten - die Schlecks und Cadel Evans - hat er 1:45'' (A.Schleck), 1:54'' (Evans) und 2:11'' (F.Schleck) Rückstand. Das ist im Fall von Cadel Evans definitiv zu viel, im Fall der Schlecks wahrscheinlich auch. Man braucht nicht darüber zu diskutieren, dass über 1:40'' von den ersten zwei Etappen stammen, und nicht durch die Schwäche Contadors verursacht wurden, sondern durch Pech und ein schwächeres Saxo Bank-Team. Der Rückstand ist da. Und der Spanier muss von diesem Rückstand einiges gut machen -- auf Evans mind. 1:30'' und auf jeden der Schlecks mind. eine Minute -- um im EZF am vorletzten Tag überhaupt eine Chance zu haben, diese zu überholen. Er MUSS angreifen und er hat dafür realistischerweise nur noch zwei Chancen: Am Donnerstag am Galibier und am Freitag in Alpe d'Huez. Und dann muss er immer noch genügend Kraft haben, um bei EZF nochmal Zeit rauszufahren. Auch wenn seine Sturzblessuren langsam verheilen und er von Etappe zu Etappe besser aussieht - irgendwie hab ich das Gefühl, dass in dieser Rechnung zu viele 'Wenns' enthalten sind. Sollte das noch gutgehen, wäre er der erste Fahrer seit Pantani 1998, der in einem Jahr Giro und Tour gewinnt. Aber ich bin da momentan mehr als sekptisch.
Der Grund für meine Skepsis heißt
Cadel Evans. Der konnte bisher nahezu jede Tempoverschärfung mitgehen und kann es sich bei den beiden Bergankünften sogar leisten, auf die Schlecks insgesamt eine Minute zu verlieren (meine Rechnung

). Er muss also selbst nicht angreifen, kann abwarten und kontern. Das hat er bei den beiden bisherigen Berganknften bisher gut gemacht. Selbst wenn er einmal abreißen lassen müsste, ist er stark genug, sein eigenes Tempo am Berg zu fahren und somit Rückstände zu minimieren. Nur eines darf ihm nicht passieren: Seine obligatorische "schwarze Etappe", die er bisher bei jeder größeren Rundfahrt hatte. Ich bin sehr gespannt, ob er die Attacken der Schlecks und Contadors mitgehen kann. Wenn er allein den Zeitrückstand begrenzen könnte, ist er nach momentanem Stand mein Top Favorit. Hier gibt es also nur ein "Wenn"

Zwei 'Wenns' gibt es für beide
Schlecks. Denn beide stehen vor einer ähnlichen Ausgangssituation: Den Zeitvorsprung, den Frank hat, würde Andy als etwas besserer Zeitfahrer wieder rausfahren. Beide hatten einen Tag in den Bergen, an denen der Bruder besser aussah und für beide gilt: Bisher wäre mehr drin gewesen. Frank konnte immerhin die Tatsache nutzen, dass sich auf der Etappe nach Luz Ardiden alle Mitfavoriten auf seinen (auf dieser Etappe schwächeren) Bruder konzentrierten und ein paar Sekunden rausfahren. Andy konnte es zwei Tage später, als Frank ein paar Probleme hatte nicht so gut. Außerdem hat man ein bisschen das Gefühl, beide haben etwas Angst, dem Bruder durch einen Angriff wehzutun. Diese fehlende Konsequenz könnte sie die Tour kosten. Sie haben nämlich nur dann eine Chance 'WENN (1)' sie auf Evans Zeit gutmachen und 'WENN(2)' sie Contador auf Distanz halten können. Sie müssen also einerseits angreifen und andererseits aufpassen, dass der Spanier sie nicht kontert. Vielleicht könnte man noch ein drittes 'Wenn' einfügen: WENN einer angreift, darf er auch keine Rücksicht auf den Bruder nehmen. Sollte das klappen, könnte sich einer der beiden zum ersten luxemburgischen Toursieger seit Charly Gaul krönen.
Sollte man
Samuel Sanchez schon abschreiben? Im Kampf um das gelbe Trikot wohl schon, dafür gibt es nämlich zu viele 'Wenns'. Von den ehemals 2:35 Minuten Rückstand auf Evans und A.Schleck hat er bisher durch zwei Angriffe 1:30'' auf Evans und immerhin 0:45'' auf F.Schleck aufholen können. Neben einem Etappensieg als Lohn
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brachte ihn das zudem in Schlagweite an die Schlecks und vor Alberto Contador. ABER: Er hatte durch den Sturz/TTT-Rückstand das "Glück", dass ihn die Favoriten bisher fahren ließen. Das werden die Schlecks und Contador sicht nicht mehr leisten können. Sanchez ist ein ordentlicher Zeitfahrer -- schlechter als Contador und Evans aber etwas stärker als die Schlecks. Und das bringt uns zu den 'Wenns': WENN(1) Sanchez vielleicht noch 45 Sekunden auf Contador gut macht, WENN(2) er den Schlecks nochmal 30 Sekunden abnehmen kann und WENN(3) Cadel Evans noch einen schlechten Tag bekommt - und WENN(4) er im Zeitfahren über sich hinauswächst, hat er noch Chancen auf Gelb. Achja und auf Basso muss er natürlich auch noch achten. Man sollte nicht vermessen sein: Sollte trotz der rabenschwarzen ersten zwei Etappen ein Platz auf dem Stockerl rausspringen, darf Sami überglücklich sein. Zudem er sich ein weiteres Ziel vornehmen darf: Das Bergtrikot. Dafür müsste sein Team aber aufpassen, dass Jelle Vanendert in keine Spitzengruppe mehr kommt.
Damiano Cunego räume ich keine Chancen mehr auf den Gesamtsieg ein. Er liegt von den ersten 8 am Schlechtesten und ist zudem der schlechteste Zeitfahrer aller Favoriten. Er wird ein sehr gutes Tourergebnis erzielen aber wohl mit dem Podium nichts zu tun haben. Ganz anders sieht die Sache für
Ivan Basso aus. Der hat bei den bisherigen Bergankünften durchaus mal gezupft... Rausgekommen ist aber nicht sehr viel. Da Contador, Evans und vielleicht Sanchez im EZF besser sein sollten, gilt auch für den Italiener: Attacke, Attacke, Attacke um seinen dritten Podestplatz auf dem Stockerl in Paris herauszufahren. Ich tippe, er wird das nicht schaffen. Aber was weiß ich denn schon...

Ehre, wem Ehre gebührt...
Thomas Voeckler hat davon profitiert, dass sich die Favoriten in den Pyrenäen belauerten und konnte sein Maillot Jaune verteidigen. Jetzt kommen die Fragen hoch, ob er auch stark genug ist, in den Alpen dranzubleiben, wenn die Favoriten attackieren müssen. Zumal vor der Bergankunft auf dem Galibier noch der Col Agnel und der Col d'iozard kommen, vor der Ankunft in Alpe d'Huez stehen noch der Col de Telegraphe und nochmal der Galibier. Und dann kommt noch hinzu, dass er kein guter Zeitfahrer ist. Sicher, seine sonstigen Rückstände bei Tour-Zeitfahren sind wenig aussagekräftig, weil er dort selten volle Power geht. Aber allein der Traum, dass er nach den Alpen noch Gelb trägt klingt zu schön um wahr zu sein. Spätestens in Alpe d'Huez werden die Favoriten bereits am Fuß des Berges attackieren. Wie sehr soll er bitte noch über sich hinauswachsen. ABER: Er konterte bereits in den Pyrenäen einige Angriffe der Favoriten und blieb dran. Er hatte mit Pierre Rolland immer noch einen Helfer an seiner Seite, wenn alle anderen bereits auf sich allein gestellt waren. Und er ist ein Kämpfer vor dem Herren. Vielleicht kann er am Galibier noch Gelb verteidigen. Aber wie soll das dann in Alpe d'Huez klappen ?
Punktewertung - Grünes TrikotDrei Fahrer kämpfen noch um dieses Trikot. Marc Cavendish, Jose Joachin Rojas und Philippe Gilbert. Cavendish hat noch eine Chance auf volle Punkte: in Paris. Außerdem kann er noch bei den Zwischensprints auf fast allen Etappen (außer auf der nach Alpe d'Huez) Punkte sammeln, je nachdem wie sich die Rennen entwickeln und wie viele Fahrer in Ausreißergruppen sind. Rojas wird auch auf dem Champs Elysees punkten und kann morgen auf der Etappe nach Gap, nur eine Bergwertung der zweiten Kategorie kurz vor dem Ziel, noch am Ende mit dabei sein. Gleiches gilt für Gilbert, der aber auch Chancen hat, übermorgen auf der Etappe nach Pinerolo (fünf Bergwertungen, davon eine der ersten Kategorie in Sestrières) ein gutes Resultat erzielen. Bei 13 Punkten Rückstand von Rojas und 24 von Gilbert ist da noch einiges drin. Marc Cavendish bleibt aber DER Top-Favorit in diesem Klassement.
Bergwertung - Gepunktetes TrikotDieser Kampf müsste sich zwischen Jelle Vanendert und Samuel Sanchez entscheiden. Der Grund ist einfach: An den Schlussanstiegen in den Alpen gibt es jeweils 40 Punkte zu holen- insgesamt also 80. An sonstigen Bergwertungen insgesamt "nur" noch 130. Wenn man davon ausgeht, dass diese 130 Punkte nicht ein einzelner Fahrer holen wird (einziger sonstiger Kandidat wäre ja Jeremy Roy) und dass außer den beiden keiner mehr an den Schlussanstiegen wirklich punkten kann, bleiben nur die zwei über. Mit Vorteil für Sanchez, denn ob Vanendert nochmal angreifen kann, wenn die Favoriten Tempo machen, muss sich erst noch zeigen.
Nachwuchswertung - Weißes TrikotDas Trikot erfährt wenig Beachtung, der Kampf darum könnte nach der Krise von Robert Gesink in diesem Jahr allerdings sehr spannend werden. Nachdem Arnold Jeanesson am Plateau de Beille das Trikot verlor, sind für mich noch drei Fahrer im Rennen: Rigoberto Uran, der das Trikot momentan trägt, Rein Taaramäe und... Pierre Rolland. Letzterer trägt das Trikot meiner Meinung nach nur nicht, weil er a) im TTT auf Uran (genauso wie Taaramäe) auf Uran im Sky-Team zeit verlor und b) viel Arbeit für Thomas Voeckler machen muss. Aus Sicht von Rolland ist es also "Schade" dass sein Kollege immer noch Gelb trägt. Er könnte im Gebirge mit Uran und Taaramäe sonst gut mithalten, bzw. hätte sich auf der Etappe nach Luz Ardiden eine bessere Zeit erzielen können. Da diese drei aber alle nicht zu den Top-Bergfahrern gehören, ist bei jedem der drei am Berg immer alles drin. Uran verlor nach Luz Ardiden etwas mehr Zeit als Taaramäe, der Este war dafür am Plateau de Beille etwas schwächer. Auch im Zeitfahren dürfte Taaramäe etwas stärker als seine Konkurrenz sein, er gewann bereits kleinere Zeitfahren, Landesmeisterschaften im TT und belegte bei WMs gute Plätze in dieser Disziplin. Uran kann das ganz ordentlich - wie allerdings Rollands Qualitäten in dieser Disziplin aussehen kann ich wirklich nicht sagen. Uran geht mit einer Minute Vorsprung auf Taaramäe und 1:25'' auf Rolland in die letzten Etappen. Der Kampf um Weiß ist also spannend.