Betreff: Stellungnahme zu den Artikeln "Hannover 96 hat ein Gewaltproblem" und "Unterm Strich Was tun, wenn´s brennt?"Die Forderung des neu ernannten Sicherheitsbeauftragten desInnenministeriums veranlassen mich zu folgender Erwiderung:Hat Hannover 96 ein Gewaltproblem? Ja, es hat eines, aber es hat diesesgenauso wie Hannover, wie Niedersachsen oder Deutschland. Die Gewalt, diesich um den Fußball Bahn bricht ist größtenteils gesellschaftlich bedingt.Der Fußball selbst ist nicht nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft,sondern wirkt geradezu wie ein Brennglas das diese Probleme vergrößertabbildet oder ein Parabolspiegel, der Problemfelder und sozialeHerausforderungen unserer Gesellschaft bündelt. Wer dann mit so einfachen,zugegebenermaßen öffentlichkeitswirksamen um nicht zu sagen populistischenForderungen wie Hausverbote daherkommt, der verkennt die eigentlichenUrsachen. Ganz zu schweigen davon, dass die weitaus überwiegende Zahle dergewaltförmigen Auseinandersetzungen gar nicht im Stadion sondern anBahnhöfen und in der Stadt stattfinden. So steht in dem Evaluationsberichtder Veränderung der Stadionsverbotsrichtlinien aus dem Jahre 2009 "der weitüberwiegende Teil aller sicherheitsrelevanten Vorfälle sich außerhalb derStadien zuträgt, also dort, wo die Stadionverbote nicht greifen. So gesehen,kann man auch feststellen, dass Instrument Stadionverbot seine präventiveWirkung innerhalb der Stadien in besonderem Maße entfaltet." Um dann hinzuzufügen, dass "eine Vielzahl von Personen, die mit Stadionverbot belegtsind, Fahrten zu Auswärtsspeilen als „Event“ betrachten. Auf der Fahrt zumGastspiel oder dort im Vorfeld/Nachgang des Spiels treten diese Personendann oft sicherheitsrelevant in Erscheinung, ohne im Stadion anwesendgewesen zu sein", und mit der selbstkritischen Anmerkung zu schließen: “„Hier wird deutlich, dass das Instrument Stadionverbot alsPräventionsmaßnahme das aktuelle Grundproblem der gewalttätigenAuseinandersetzungen außerhalb der Stadien nicht lösen kann.“ Mit anderenWorten, wer der Verschärfung der Richtlinien von Stadionverboten, werHausverboten das Wort redet, verlagert das Problem nur in wenigerkontrollierbare Räume, was sicherheitspolitisch wohl kaum die richtigeAntwort sein kann.Wie wohltuend ist da die Analyse von Sonja Fröhlich. In der Tat gilt esdafür zur sorgen, dass die jüngeren Fankurvenbesucher pädagogischaufgefangen werden und dafür zu sorgen, dass sie nicht in die Gewaltszeneabdriften. Genau das ist auch der Arbeitsschwerpunkte der bundesweiterfolgreich arbeitenden Fanprojekte, die es aber immer schwerer haben jungeMenschen davon abzuhalten in die Gewaltszenen abzudriften, wenn genau dieseFans wenig Verständnis für ihre Jugendkultur, dafür aber umso mehrRepression erfahren. Statt Konfrontation und noch mehr Repression sindKommunikation und Dialog gefordert. Eine Einsicht die sich Gott sei Dankungeachtet der gebetsmühlenartig wiederholten Forderung derPolizeigewerkschaft nach Verschärfung der Gesetze sowohl beim vomBundesinnenminister einberufenen Runden Tisch zu Fußball und Gewalt imNovember letzten Jahres als auch beim Hearing des Sportausschusses desDeutschen Bundestages zu Fußball und Gewalt am 08. Februar diesen Jahresdurchgesetzt hat. In Hannover wurde Anfang des Jahres ein ÖrtlicherAusschuss Sport und Sicherheit neu aktiviert in dem neben Polizei undBundespolizei Vertreter von Hannover 96, der Fanbeauftragte von Hannover 96,das Fanprojekt, das Jugendamt der Stadt Hannover, als wissenschaftlicherBerater ich und auch der Sicherheitsbeauftragte des niedersächsischenInnenministeriums und künftig auch Fanvertreter vertreten sind. Ziel ist es,gemeinsam die aktuelle Situation in Hannover aus den verschiedenenBlickwinkeln zu bewerten und dann abgestimmte pädagogisch wiesicherheitspräventive Maßnahmen zu ergreifen. Es wäre schön gewesen und istfür die Zukunft zu hoffen, dass nicht Einzelne mit nicht abgestimmtenSchnellschüssen an die Öffentlichkeit treten, sondern diese erst in demGremium beraten und den gemeinsam getragene Maßnahmen- undForderungskataloge veröffentlicht werden. Wir müssen den Dialog mit denFans zur selbstkritischen Bewertung des beiderseitigen Verhaltens eintreten.Der von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze aufgelistete Rekordvon 846 Verletzen hat manchmal auch etwas mit unsensiblen, manchmal auchüberzogenen Polizeieinsätzen zu tun. Dabei hat doch gerade Hannover mitseinem polizeilichen Konfliktmanager-Modell zu Recht nicht nur von Seitender Fanorganisationen, sondern zunehmend auch von anderen Polizeien viel Loberfahren. Verspielen wir diesen Kredit nicht, fahren wir unbeirrt auf diesemWeg fort, auch wenn es den einen oder anderen Rückschlag geben sollte.Hektik und Aktionismus waren schon immer schlechte Berater. Nehmen wir dieFankulturen ernst, wobei ernst nehmen dann auch heißt das Überschreiten vongesetzten Grenzen, von gemeinsam vereinbarten Verhaltenskodes konsequent zuahnden. Die Forderung nach Kommunikation und Dialog, nach ernst nehmen derFankultur darf - dies betone ich ausdrücklich um keine Missverständnisseaufkommen zu lassen - bedeuten keinen Freibrief für überbordendesFanverhalten und Gewaltfantasien.Mit freundlichen Grüßen Prof. Dr. Gunter A. Pilz