Vorsicht, Wiener Verbrecher!
Man stelle sich vor, wir würden behaupten, Volker Bouffier - seines Zeichens aktueller Innenminister Hessens - stünde unter dringendem Verdacht Steuern zu hinterziehen und in seiner Funktion als Amtsträger Dienstgeheimnisse zu verraten. Haltlose Unterstellungen und unbewiesene Unverschämtheiten? Nein keineswegs, schließlich zählt er ja zum Kabinett von Ministerpräsident Roland Koch, des Mannes, welcher nachweislich 1999 in die CDU-Spendenaffäre verwickelt war und einer seiner Polizisten wurde gerade erst in Marburg wegen des Ausplauderns von Fahndungsdaten verurteilt. Aus diesen Gründen und um die Sicherheit der Nation und den Inhalt ihrer Steuerkasse zu schützen, würden wir nun deshalb fordern, künftig Herrn Bouffiers Telefone anzuzapfen und seine alljährlichen Steuererklärungen sowie alle seine Bankkonten öffentlich zu machen. Was wohl der Herr Innenminister dazu sagen würde?
Vermutlich würde er es begrüßen, legt er doch, wenn es um uns Fußballfans geht, genau diese Maßstäbe an. Erst vor wenigen Wochen bezeichnete er vor dem Treffen der Innenminister in Bremen erneut die Identitätskontrolle von Fußballfans beim Kauf von Eintrittskarten als eine wirkungsvolle Maßnahme, um Randale und Krawalle einzudämmen. Das System habe sich schon bei der Fußball-WM 2006 bewährt, um Gewalttäter aus den Stadien fernzuhalten, sagte Bouffier dort und warb gemeinsam mit seinen Kollegen für diese Art von Diskriminierung.
Jeder Fußballfan ist heute erst einmal ein potentieller Straftäter, den es unter Einsatz aller Kräfte zu stoppen gilt. Das die dabei angewandten Mittel inzwischen rechtsstaatlichen Grundsätzen, wie einer bis zum gegenteiligen Nachweis geltenden Unschuldsvermutung, völlig widersprechen und beispielsweise Sippenhaft bei der Verhängung von Stadionverboten nach Ansicht des Bundesgerichtshofes neuerdings sogar absolut legal ist, spielt im Kampf gegen den Terror in den Stadien offenbar keine Rolle mehr.
Ein anschauliches Beispiel für die permanente pauschale Kriminalisierung von Fußballfans ist der von Bouffier so propagierte personalisierte Kartenverkauf. Angepeitscht durch einen schon fast paranoiden Sicherheitswahn unserer Gesellschaft, das rücksichtslose Bestreben von Verbänden den Volkssport Fußball zu reinigen und so für die kommerzielle Nutzung zu optimieren, sowie für Auflage und Einschaltquoten dreist lügende Medien, verkaufen immer mehr Vereine immer öfter Karten an Fußballfans nur noch gegen eine Zwangsregistrierung ihrer persönlichen Daten.
Mit der Personalisierung der Tickets soll der "gläserne Fußballfan" in den Stadien Realität werden. Stadienverbote sollen dadurch angeblich besser und effektiver umgesetzt werden können, durch die Möglichkeit des Abgleichs mit mindestens fragwürdigen Gewalttäter- und Hooligan-Dateien behauptet man, mehr Sicherheit zu schaffen.
Überwachung ist jedoch nicht mit Sicherheit gleichzusetzen, diese Vorstellung wäre eine gefährliche Illusion. Vielmehr ist es so, dass Gewalttäter sich zum Beispiel problemlos Tickets dadurch beschaffen können, indem sie sich durch nicht vorbelastete Personen gekaufte Karten weitergeben lassen. Und spätestens die Tatsache, dass die spezifischen Bedingungen im Vorfeld eines Fußballspiels echte Kontrollen sowieso nahezu unmöglich machen, führt diese gern benutzte Argumentation der Sicherheitsfanatiker ad absurdum. Was bleibt ist ein beleidigender Generalverdacht, der alle Fans zu Verbrechern stempelt.
Auch wir waren schon davon betroffen, zuletzt gab es für uns im Mai 2008 gegen Union Berlin nur Karten in Kombination mit einer Zwangsregistrierung. Nun sind wir, wenn auch indirekt, ganz aktuell wieder Teil dieser Fanschikane. Unsere Gäste aus Wien nämlich dürfen sich beim Kartenkauf erkennungsdienstlich erfassen lassen. Nach Aussage unseres Fanbeauftragten Martin Börner dürfen, gemäß dem zwischen der SG Dynamo Dresden und dem SK Rapid Wien abgeschlossenen Vertrag für unser Testspiel, Gästekarten ausschließlich durch Rapid verkauft werden. Diese wiederum geben Karten an ihre Fans nur personalisiert ab. Die Anhänger von Rapid Wien, insbesondere die aktiven Fans, sehen sich bereits seit geraumer Zeit und in immer größerem Maße Behinderung, Kriminalisierung, Gängelung und Schikanierung ausgesetzt. Das nun aber bereits bei einem sportlich völlig belanglosen Testspiel derlei Maßnahmen ergriffen werden, ist ein weiterer schlimmer qualitativer Sprung.
Die Fangemeinschaft Dynamo möchte dazu folgendes feststellen: Wir lehnen den Verkauf von Eintrittskarten in Kombination mit der Erfassung persönlicher Daten generell entschieden ab. Wir verurteilen das Verhalten der Verantwortlichen des SK Rapid Wien ihren Fans gegenüber. Wir bedauern, dass sich die Verantwortlichen der SG Dynamo Dresden außer Stande sahen, für unser Testspiel eine vertragliche Vereinbarung mit Rapid Wien zu schließen, die eine derartige Praxis nicht ermöglicht. Wir finden es außerordentlich schade, dass zahlreiche Rapid-Fans – verständlicherweise - aus Protest auf einen Kartenkauf, einen Spielbesuch und die Reise nach Dresden verzichten werden. Wieder einmal schadet die Kriminalisierung von Fußballfans allen Beteiligten. Dynamo Dresden, Rapid Wien, dem Fußball.
Fangemeinschaft Dynamo