»Rosa ist peinlich«
In ihrem Buch »Fußball, Frauen, Männlichkeiten« präsentiert die Ethnologin Almut Sülzle ihre Feldforschung zu Männlichkeit und Fußball. Im Interview mit dem ballesterer erklärt sie, welche Freiräume Frauen in der Fankurve finden und was das Stadion mit den Männergruppen aus den 1980er Jahren zu tun hat.
Georg Spitaler | 12.09.2011
Drei Jahre hat Almut Sülzle im Stadion der Kickers Offenbach verbracht und die »männliche Grammatik« der Fantribünen untersucht. Ihre Fanbiografien eröffnen überraschende Einblicke in das Spiel der Geschlechter im Stadion.
ballesterer: Sie sprechen in Ihrem Buch von einer männlichen Grammatik des Stadions. Was meinen Sie damit?
ALMUT SÜLZLE: Die Gleichsetzung von Fußball und Männlichkeit ist die Grundlage der männlichen Grammatik. Nach innen funktioniert sie durch die Aufführung dessen, was man sich als archaische, proletarische Männlichkeit vorstellt. Hauptelement ist der Ausschluss von Weiblichkeit, nicht unbedingt von Frauen. Also alles, was rosa ist, ist peinlich. Dazu die Selbstermächtigung zu Gewalt, was auch ein Affront gegen die Staatsgewalt ist, und ein kameradschaftlicher Umgang, der Weiblichkeit und Sexualität ausschließt. Die Fankultur wird von Männern und Frauen gelebt und weiterentwickelt, die sich außerhalb des Stadions anders bewegen. Es gibt auch in der Arbeitswelt und in der Stammkneipe eigene männliche Grammatiken, die anders, aber teilweise ähnlich funktionieren.
Was gewinnen weibliche Fans in der männlich dominierten Fankultur?
Sie können sich in einem Freiraum bewegen, ohne ständig daran gemessen zu werden, ob sie angemessen heterosexuell und weiblich sind. Das gibt es fast nirgends in der Gesellschaft. Außerdem gewinnen sie Sicherheit im Umgang mit aggressiven Männern. Dadurch, dass männliche Drohgebärden im Fußball so übertrieben aufgeführt werden, werden sie total durchsichtig. Das Wissen kann ich zum Beispiel in die Arbeit mitnehmen und dort feststellen, dass der Chef genau dasselbe macht. Drittens tritt die patriarchale Struktur der Gesellschaft im Fußball viel offener und ehrlicher zutage als irgendwo anders. Es ist daher auch einfacher, Analyse und Kritik zu entwickeln.
Für Ihre Studie haben Sie »Geschlechterraterunden« durchgeführt. Was können wir uns da vorstellen?
Ich habe mir Passagen aus meinen Faninterviews herausgesucht, bei denen nicht sofort zu erahnen war, ob das ein Mann oder eine Frau gesagt hat. Die habe ich einer Runde von Kolleginnen und Kollegen zum Lesen gegeben, die mit Fußball relativ wenig zu tun haben. Sie sollten das Geschlecht erraten und ihre Wahl erklären, vor allem wenn die Antworten unterschiedlich waren. Die Idee war, dass dann die selbstverständlichen Geschlechterzuschreibungen offensichtlich werden. Meine Erfahrung war aber eher, dass die Vorstellungen der Raterunde zum Vorschein kommen.
Sie haben also mehr über gesellschaftlich verbreitete Zuschreibungen an den Fußball erfahren?
Ja, und was sich da herausgestellt hat, war die ganz enge Verknüpfung von Männlichkeit und Gewalt. Nicht unbedingt deren Anwendung, sondern die innere Haltung des Nicht-Zurückweichens.
Liegt hier auch der größte Unterschied, wie sich weibliche und männliche Fans selbst verorten?
Da liegen die Grenzen extrem klar. Als Frau kann man nicht sagen »Ich verhalte mich wie ein Fan«, sondern da verhält sich die Frau dann wie ein Mann.
Neben Gewalt erwähnen Sie Sexismus als Merkmal der männlichen Fußballgrammatik.
Ja, aber es gibt für Frauen ganz verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Die typische Reaktion wäre zu sagen, so ist das bei Fußballfans halt, Sexismus gehört dazu. Andere reagieren mit Kritik und Ironie, die sie einsetzen um Veränderungen einzufordern und zu erkämpfen. Aber sobald Sexismus im Raum steht, gibt es immer eine Einteilung aller anwesenden Personen nach Geschlecht. In diesem Moment werde ich als weiblicher Fan zur Frau gemacht.
Sie schreiben, eine sexismusfreie Fankultur ist nicht möglich, da der Männlichkeitshype ein genuiner Teil von ihr ist.
Da bin ich mir mit vielen anderen feministischen Fans nicht einig. Mein Standpunkt ist: Zentral in der Fankultur ist der Bezug zum Proletarischen, zum Über-die-Stränge-Schlagen und zu Männlichkeit. Den Bezug zur Männlichkeit halte ich für die Minimalbasis, auf dem alles aufbaut. Im Über-die-Stränge-Schlagen findet sich zum Beispiel auch Rassismus, aber der kann entfernt werden, ohne dass sich viel am Selbstverständnis der Fans ändert. Ich habe aber auch viele Männer getroffen, die aus dem Kontakt mit Frauen in der Fußballwelt antisexistische Haltungen entwickelt haben. Auch für Männer gibt es hier einen Freiraum, in dem sie mit Frauen fernab von Rollenklischees andere Dinge erleben. Und das nehmen sie dann nach Hause mit. Fußball ist außerdem einer der wenigen gesellschaftlichen Bereiche, in denen Männlichkeit überhaupt thematisiert wird. Das ist eine wichtige Voraussetzung für Veränderungen. Viele Fans gehen dort in eine Schule, die nicht so anders ist als die Männergruppen der 80er Jahre. Man redet über Männlichkeit, man lernt, sich gegenseitig anzufassen. (lacht)
Sie verwenden aber auch den Begriff der »Männlichkeitstankstelle«, wonach sich unterschiedlichste Männer im Fußball männlich machen können. Ist das kein Widerspruch?
Nein, das ist eher die Grundlage dafür. Die absolute Versicherung von Männlichkeit im Fußball gibt erst die Freiheit, sich stellenweise anders zu bewegen.
Ein Beispiel für die »Männlichkeitstankstelle« ist das modische Zitieren von proletarischen Images durch Mittelklassemänner: In unserer Redaktion tragen alle Hemden der englischen Modemarken Fred Perry oder Ben Sherman, die auch bei der englischen Working Class beliebt sind.
Genau, das ist ein gutes Beispiel. Wobei es da auch darum geht zu zeigen, dass man bestimmte Coolness-Codes kennt. Man sieht, dass jede soziale Schicht ihre eigenen Männlichkeitsvorstellungen hat. Indem ich lerne, sie zu wechseln, lerne ich auch, dass es Unterschiede gibt und Männlichkeit veränderbar ist. Absurderweise ist das aber mit der Vorstellung verbunden, im Fußball die authentische Männlichkeit zu finden.
Fußball und Geschlecht scheint ein feministisches Modethema zu werden. Warum wird gerade der Fußball als ein so relevanter Ort gesehen?
Es gibt die Vorstellung, Fußball sei die letzte Männerdomäne, und wenn Frauen jetzt auch Fußball spielen, dann haben wir die Gleichberechtigung. Doch bei dieser Vorstellung tappt man leicht in die Falle zu glauben, dass Fußballerinnen eigentlich Emanzipationsvorreiterinnen sind. Ich habe zum Beispiel die Erwartungen von feministischer Seite an die Frauenfußball-WM total verquer gefunden. Niemand hat mehr gehört, wenn die Spielerinnen einfach sagen »Ich will Fußball spielen«. Das wird nicht akzeptiert. Und es heißt, ihr dürft euch in der Werbung nur so und so verhalten. Natürlich läuft alles schief in der Werbung, aber das kann man nicht den Fußballerinnen anlasten. Und man kann ihnen nicht die Versäumnisse der feministischen Bewegung aufbürden.
Am Ende Ihres Buchs zitieren Sie Max Goldt, wonach Gesellschaftskritik, die das Grölen von Fußballfans unerwähnt lässt, keine adäquate Kritik ist. Wie ist das gemeint?
Grölen ist eine Drohgebärde, da geht es um Gewalt. Es geht mir nicht darum, Begeisterung für grölende Fans auszudrücken, sondern darum zu verstehen, was passiert. Wenn ich Gesellschaft analysiere, darf ich nicht nur Regierungsformen und Wahlergebnisse betrachten, sondern muss überall hinschauen, wo Gewalt ist. In der Familie, im Fußball, bei der Polizei, im Krieg. Man darf den Anteil der Populärkultur an der Konstruktion von Gesellschaft nie vergessen.
Buchtipp:
Almut Sülzle: »Fußball, Frauen, Männlichkeiten. Eine ethnografische Studie im Fanblock« (Campus, 2011)
Quelle:
http://ballesterer.at/?art_id=1705