jetzt mal zur Hauptsache, Spiel geht los...
Das Rundumpaket von Alessandro umfasste neben einem Vasco Trikot, dem Rind in der feinen Gesellschaft Rios und Sylvies Gesellschaft natürlich auch ein Ticket für die Haupttribüne im Vasco Stadion.
Diese besteht aus individuell aufgestellten Hartschalenstühlen, so wie man sie aus den Wartezimmern deutscher Hausärzte in den 80ern kannte. Zum Spielfeld hin gibt es einen aus Mosaikkacheln bestehenden Weg, auf dem jeder aktuelle und ehemalige Spieler seine eigene Kachel mit Namen und dem roten Kreuz Vascos besitzt. Dieser parallel zur Haupttribüne verlaufende Weg dient ebenso als Raucherzone, ansonsten ist dies ebenso Tabu wie Alkohol. Dieser moderne Schachzug passte nun gar nicht zu dieser altertümlichen Atmosphäre.
Die Haupttribüne war halb gefüllt mit alten grauen Eminenzen und Familien, die überdachte Kurve links war nur mit einer vielleicht 50 Mann starken Sambatruppe besetzt, die das ganze Spiel mit angenehmen Rhythmen und Tanzeinlagen untermalte. Die gegenüberliegende Stehgerade dagegen war ordentlich voll mit fahnenschwenkenden und zur Musik tanzenden Fans. Der Gästeblock in gelb-schwarz am rechten Rand der Stehgerade auch mit ca. 50 Leuten gefüllt, und die Kurve besteht ausschließlich aus Anzeigetafel, die auf zwei Podesten steht sowie aus zwei Trainerbänken links und rechts vom Tor.
Der Vereinsname Vasco (gesprochen Waaaaschgo) und dazu Fahnen mit dem rote Kreuz auf schwarz-weißem Grund ließen linksgerichtete Sensibelchen aus unseren Breitengraden sicher die Nackenhaare zu Berge stehen. Die Gier nach einer Gelegenheit zum Ergreifen der Moralkeule wäre hier wunderbar gestillt worden.
Gut, Anpfiff, und wer hier nun ein Feuerwerk der klar favorisierten Heimmannschaft erwartet hatte wurde bitter enttäuscht. Volta Redonda spielte von Beginn an keck mit, hielt durch sein argentinisches Luca Toni - Double in der Sturmspitze clever die Bälle und kam gleich zu Beginn zu guten Chancen. Eine davon führte in der 10. Minute zu einer Ecke die ein aufgerückter Verteidiger per Kopf zum 0-1 verwertete. Riesenfreude im Voltablock, einige der Zuschauer rannten und hüpften minutenlang quer durch den Block.
Vasco dagegen trat mit der Nummer 10, Mittelfeldregisseur Carlos Alberto an. Dieser verstand es mit ordentlich Hüftspeck das Aufbauspiel so zu verschleppen, wie es Elton da Costa im Trikot der Lilien selbst in den übelsten Alpträumen nie schaffen würde. Anscheinend hat er aber doch noch einen gewissen Status in Brasilien, so dass er bei jeder Körperberührung fiel und regelmäßig Freistöße zugesprochen bekam. Das war auch die einzige Gefahr für das Tor des Drittligisten. Angriffe wurden pomadig und durchschaubar vorgetragen. Von Spielverständnis keine Spur. Präsident und Vereinslegende Roberto Dinamite und Trainer Gaucho standen wie Salzsäulen am Spielfeldrand. Wenn mal ein Pass nach vorne kam, dann meistens über den rechten Flügelstürmer mit der Nummer 7, Eder Luis. Dieser flankte, dribbelte und schoss, gab meiner Meinung nach sein Bestes, aber ohne dass etwas zählbares dabei raussprang. Der Support der Fans beschränkte sich auf gelegentliche „Waaschgo“ Rufe und dem Trällern der Sambakapelle. Ansonsten Gemurre und Gezetere wegen dem üblen Spielaufbau und natürlich dem Spielstand.
Mit 0-1 ging es in die Pause und ich forderte dringend die Auswechslung von Carlos Alberto. Der Mann mit dem großen Namen blieb allerdings drin und eine andere Auswechslung in der 60. Minute hatte dann wohl doch den spielentscheidenden Charakter. Der vierte Schiri zeigte mit der Tafel die Auswechslung der Nummer 7, dem oben erwähnten Eder Luis, an. Dieser schlich unter Buhrufen des gesamten (!) Stadions vom Feld. Ich konnte das so nicht ganz nachvollziehen, aber hier entlud sich der Frust der Anhänger als eine Art Dominoeffekt. Nach dem Motto Wenn der Nachbar buht, buhe ich einfach mal mit. Der eh schon kleine Eder Luis wurde von Schritt zu Schritt kleiner, versank förmlich im Rasen, bis Trainer Gaucho den Schiri wildfuchtelnd darauf hinwies, dass er statt der Nummer 7 die Nummer 17, Abwehrhüne Welder, auswechseln wollte. Tippfehler auf der Wechseltafel. Also Welder raus, ein Offensivmann kam rein und Eder Luis blieb drin. Das gehörnte Publikum ließ es sich nicht nehmen, auch diese Handlung mit Buhrufen zu quittieren.
Und Vasco versuchte es weiter den Ausgleich zu erzielen. Natürlich ging es wie schon vorher oftmals über den rechten Flügel, wo Eder Luis nun bei jedem Ballkontakt ausgebuht wurden. Und ihr könnt euch vorstellen, dem gelang nun nichts, rein gar nichts mehr. Einmal fiel er über den Ball, dann kickte er ihn mit dem Standbein ins Seitenaus statt mit Karacho aufs Tor und all seine Flanken waren beschissener als all die Torabschlüsse meiner Hobbykickerkarriere.
Aber der Trainer griff nicht ein und bescherte Eder Luis wohl die längsten 30 Minuten seiner Laufbahn.
Auf der Stehtribüne kam es neben den Dauertänzern aus Volta nochmal zu Bewegung durch einen einsetzenden Platzregen, bei dem die gesamte Stehgerade in die überdachte Kurve flüchtete. Vasco ohne nennenswerte Torchance, dagegen kam bei den geschickt verteidigenden Voltas in der 70. Minute der Spieler Fernando aufs Feld, der jüngere Bruder von Carlos Alberto. Dieser Fernando zog im Mittelfeld so clever die Fäden, dass Volta dem 2-0 deutlich näher war als Vasco dem 1-1. Aber letztlich verhinderten einige Paraden des Vasco Keepers eine deutlichere Niederlage. So blieb es am Ende beim 0-1, Carlos Alberto und Bruder tauschten Trikots und gingen Arm in Arm vom Platz, die Zuschauer buhten nochmal aus voller Kehle und verließen das Stadion.
Allgemein ein eher langweiliges Spiel vor geringer Kulisse. Aber dafür kein Maskottchenscheiss, keine nervende Werbung oder Präsentation von Ereignissen wie Ecken durch irgendwelche Premiumpartner, keine Polizei, also purer Fussball. Das empfand ich als sehr angenehm.
Sportsfreund Waldemar sagte auf dem Rückweg zur Copacabana kein Wort, Alessandro rief seine Vasco-Freunde an und überschüttete sie mit Hohn und Spott. Um im gleichen Atemzug daran erinnert zu werden, dass sein Team Flamengo im gleichen Wettbewerb zuhause vor ein paar Tagen gegen den Drittligisten Resende nach 2-0 Führung noch 2-3 verlor.
Mas que nada! Da müssen wir alle oft genug durch, so ist eben Fußball!