1. FC Union: Vom geliebten Arbeiterklub zum Schmuddelkind mit rassistischen Fans
Gestern, 02.10.2021 | 12:08
1. FC Union: Die Geschichte eines besonderen Klubs, der seine Werte verliert?
Allerdings gesellen sich in letzter Zeit auch immer mehr Negativ-Schlagzeilen dazu. Ein Imagewandel droht: Vom Revoluzzer zu DDR-Zeiten zum Schmuddelkind mit rassistischen Fans. Doch um die „Eisernen“ wirklich verstehen zu können, ist ein Exkurs in die Vereinsgeschichte notwendig. Ansonsten ist die noch allgegenwärtige Zuneigung nicht vollends zu verstehen.
Die Union-Spieler bedanken sich bei ihren Fans
imago images/NordphotoDie Union-Spieler bedanken sich bei ihren Fans
Der Verein ist geprägt von einer „ostdeutschen Seele“. Deren Ursprung in der DDR liegt. Damals galt Union als Anti-Stasi-Club. Die Berliner waren ein Magnet für Andersdenkende. Trotz ausbleibender Erfolge sorgten die zahlreichen Systemgegner für volle Zuschauertribünen – zum Missfallen der DDR-Funktionäre. Die hatten nämlich einen anderen Verein zur Staatsvertretung auserkoren: den BFC Dynamo.
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Der Stasi-Verein wurde schnell zum Feindbild der Unioner, die ihre Wut gegenüber dem System auch während der Derbys Gehör verschaften. Unvergessen ihre "Die Mauer muss weg“-Rufe, wenn die Gegner sich zur Abwehr eines Freistoßes versammelten.
1. FC Union: Fans bewahren Verein vor Bankrott
Nach der Wiedervereinigung wurden die Ost-Vereine in die Westligen integriert. Für viele Ost-Klubs folgten große finanzielle Probleme und für Union Berlin beinahe der Absturz in der Belanglosigkeit.
Doch der Klub wurde durch diese schwere Zeit von seinen eigenen Fans getragen, die mit Demonstrationen und Spendenaktionen die ungebrochene Reichweite ihres Herzensvereins unterstrichen. Union Berlin erholte sich - und die Fans packten weiter an. Beispielsweise beim Stadionausbau 2008/2009, als 2300 treue Fans mithalfen, weil das Geld wieder einmal knapp war.
Genau diese familiäre Atmosphäre war bis zuletzt auch an der "Alten Försterei" spürbar. Doch das Erlebnis "Union" erfährt im Moment eine schleichende Veränderung. Wobei das Wort schleichend nach dem schändlichen Auftreten mehrere Union-Fans gegen Israels Meister Maccabi Haifa fast nicht mehr haltbar ist. Der Verein läuft nun tatsächlich Gefahr, sein mühsam erarbeitetes Image in kurzer Zeit zu verspielen. Denn die Anschuldigungen wiegen schwer.
Die Union-Fans gegen Maccabi Haifa
imago images/Matthias KochDie Union-Fans gegen Maccabi Haifa
Conference-League-Spiel gegen Maccabi Haifa wird zum Tiefpunkt
Wie die Berliner Polizei mitteilte, wird gegen mehrere noch unbekannte Personen wegen des Verdachts der Volksverhetzung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sie sollen Fans von Maccabi Haifa während des Europapokalspieles in der Conference League "verbal provoziert, bedroht und mit Bier beworfen" sowie fremdenfeindliche Äußerungen getätigt haben.
Ein Union-Fan soll zudem versucht haben, eine Israelfahne einer Zuschauerin anzuzünden. Dies sei durch das Einschreiten von Zivilpolizisten jedoch verhindert worden.
Über die schrecklichen Vorkommnisse beim ersten Auftritt einer israelischen Fußball-Mannschaft in dem von den Nationalsozialisten erbauten Berliner Olympiastadion berichten auch die israelischen Medien. "Letztlich wurde etwas, das ein ehrenhaftes Ereignis hätte sein sollen, das eine historische Korrektur darstellt, auch eine Demonstration von Hass", schreibt "Walla Sport".
Das Blatt weist damit auch auf eine vertane Chance hin. Und tatsächlich hätten die Fans der "Eisernen" in dieser historisch gesehen besonderen Partie die Möglichkeit gehabt, die Kontroversen der jüngsten Vergangenheit vergessen zu machen.
Denn bereits vor diesem Abend hatten die Unioner in den letzten Monaten ungewohnten Gegenwind erfahren - speziell Unions Präsident Dirk Zingler, der sich vor gut einem Jahr inmitten der zweiten Corona-Welle für volle Stadien aussprach und oftmals weltfremd agierte. Und somit auch unnahbar für jene, die diesen Verein getragen haben, die Arbeiter. Aber auch die Anhänger hatten durch ihre ausgelassene Party am letzten Spieltag der vergangenen Saison für Negativ-Schlagzeilen gesorgt. Ihre Zweckentfremdung des Pilotprojektes zur Zuschauerrückkehr stieß vielen übel auf.
Die Union-Fans feiern die Qualifikation zur Conference League ohne die Abstandsregeln zu beachten
imago images/Matthias KochDie Union-Fans feiern die Qualifikation zur Conference League ohne die Abstandsregeln zu beachten
Gegenwind nimmt weiter zu: Imageverlust droht
Union-Boss Zingler meinte damals ein wenig lapidar in der "Bild": "Es war abgesprochen. Wir wussten, dass Menschen kommen. Uns war Freitag klar, als sich verdichtete, dass ungefähr 2000 bis 3000 Menschen außerhalb des Stadions warten, dass es diese Bilder geben wird. Wir haben uns bemüht, sie weitestgehend zu organisieren. Zu vermeiden sind sie nicht."
Dirk Zingler und Union-Trainer Urs Fischer
imago images/NordphotoDirk Zingler und Union-Trainer Urs Fischer
Natürlich kann man argumentieren, dass die Fans vor lauter Stolz und Emotionen für kurzerhand die Regeln vergessen haben. Und all das wäre auch heute kein Thema mehr, hätten die wenigen Union-Fans die große Bühne nicht erneut für ihre Zwecke entfremdet. Denn die viel zitierte Solidarität scheinen einige wenige im Lager der Berliner nicht zu leben. Dabei ist genau das immer die größte Stärke des Vereins gewesen - und mit ein Grund, wieso Union von so vielen auch nach mehreren Fehltritten noch respektiert wird.
Übrigens: Auch die Vereinsführung hat mittlerweile Stellung bezogen. "Dieses Verhalten ist beschämend und nicht tolerierbar. Wir bitten die Betroffenen um Entschuldigung", hieß es in einer Pressemitteilung des Berliner Fußball-Bundesligisten am Freitag. Man werde die bereits laufenden Ermittlungen der Polizei "mit allen uns zur Verfügung stehenden Informationsquellen" unterstützen, versicherte Union-Präsident Dirk Zingler. Und macht sogleich Mut, dass der 1.FC Union eben doch noch der alte Klub ist.
https://amp.focus.de/sport/fussball/bundesliga1/imageverlust-droht-union_id_24298320.html