Heute morgen wurde ich von meinen Kolleginnen erst mal mit "du und der blöde Tintenfisch seid schuld!" begrüßt. Weil ich 1:0 für Spanien getippt hatte ...
Besser wäre es gewesen, es wäre anders gekommen. Aber dann hätte Deutschland eben das Moment an Glück gebraucht, welches den Schweizern zum Sieg gegen Spanien geholfen hat. Wenn Kroos getroffen hätte, aber diese "wenn" sind nun einmal sinnlos und zum anderen hatte Spanien mehrere Chancen in ähnlicher Qualität. Aber fast beruhigend, dass auch so eine Mannschaft mit einem "deutschen" Mittel zum Sieg kommt: Eckstoß, wuchtiger Kopfball eines Verteidigers. Durchschlagskraft und Effizienz gehören nämlich auch dazu, nur wollen das die Ästheten irgendwie nicht wahr haben.
Deutschland spielt eine WM welche vielleicht auch noch in einigen Jahren in den Köpfen bleiben wird. Spielerisch leicht gegen Gegner, welche dies ermöglichten. Ein "klassischer" Sieg in einem Kampfspiel gegen einen Gegner, der stark dagegenhielt und die Räume nicht herschenkte. Und eine Niederlage in Unterzahl, bei der man sich vehement gegen diese Niederlage gestemmt hat.
Und jetzt eben ein verlorenes Spiel gegen einen erkennbar besseren Gegner. Wer jetzt schon wieder von "Debakel" und "Angsthasenfußball" schreibt oder redet, wäre mit einem 0:4 mit wehenden Fahnen sicher auch nicht glücklicher gewesen.
Ja, es war zu sehen, die Spieler waren gehemmt, es wurden Fehler gemacht, der Gegner konnte sich oft frei entfalten, selbst blieb man im gesamten Spielverlauf die unterlegene Mannschaft. Dann ist es eben so. Manche Nationen haben einfach den Moment, wo eine starke, gut auf einander eingespielte Mannschaft Glanzlichter setzen kann. Derzeit sind es die Spanier, welche ihrer Favoritenrolle bislang gerecht wurden. Vor etwa einem Jahrzehnt waren es die diesmal gedemütigten Franzosen, welche ein wirklich großartiges Team hatten.
Verglichen mit dem Fußball zwischen den Jahren 1998 und 2004 hat sich meines Erachtens bei der deutschen Auswahl viel getan. Vor allem die Zeit von Erich Ribbeck empfand ich als regelrecht qualvoll. Damals verfolgte ich Spiele der deutschen Mannschaft meist mit erheblicher Distanz.
Heute habe ich keine Probleme damit, bei den Spielen der DFB-Elf wirklich mit dem Herzen dabei zu sein. Die WM 2006, gerade auch die EM 2008 und nun dieses Turnier haben mich wieder mit dem Team ausgesöhnt. Deshalb fahre ich immer noch keinen Autokorso, befestige Deutschlandfähnchen am Auto oder laufe mit einem Trikot der Nationalelf rum. In Fußballklamotten kennen mich fast alle in meinem Umfeld, aber eben nichts von der Nationalmannschaft.
Trotzdem kann ich mich für die Mannschaft heute freuen oder eben bei einer Niederlage traurig sein. Und selbst damit gut leben, dass die Nationalflagge weithin präsent ist. Darin sehe ich erst einmal immer noch die Flagge der deutschen Demokratie und des Republikanismus. Jede Fahne kann man im nationalen Überschwang führen oder in ihr eben ein Wertesymbol sehen. Ich bevorzuge letzteres.
Jetzt wünsche ich mir von der deutschen Mannschaft ein Spiel gegen Uruguay, welches den positiven Eindruck des Turniers noch einmal bekräftigt. Denn für mich ist diese Begegnung nie unnütz oder belanglos gewesen. Spiele wie Deutschland - Portugal vor vier, oder Türkei - Südkorea vor acht Jahren waren Werbung für den Fußball und haben Spaß gemacht, zumindest mir.
Ich habe den Eindruck, zunehmend verschiebt sich in der internationalen Wahrnehmung, aber auch im Selbstbild, der Eindruck weg von den "deutschen Panzern". Dieses Stereotyp ist geprägt von den Erfahrungen jener Generationen, welche direkt oder indirekt vom zweiten Weltkrieg geprägt waren. Neue Generationen sollen nicht vergessen, aber irgendwann richten sich Meinungen eben eher an eigenen Wahrnehmungen aus.
Eine junge Mannschaft mit einigen erfahrenen Köpfen, welche offensiven, erfrischenden Fußball spielt und sich fair in der Niederlage zeigt hinterlässt, wie ich glaube, einen nachhaltigeren Eindruck als ein vierter Titel. Je nachdem, wie dieser errungen wurde, können neue Abneigungen entstehen, siehe etwa die Wahrnehmung der "Squadra Azzura" seit dem Titel 2006.
Das Viertelfinale gegen Argentinien werde ich sicher ebenso in meiner persönlichen Hitliste schöner Spiele abspeichern wie das Achtelfinale gegen England. Und auch gestern hatte ich den Eindruck, dass sich zwei große Mannschaften fair und respektvoll begegnet sind, und die bessere von ihnen verdient gewonnen hat. Dies anzuerkennen fällt mir nicht schwer. Und jetzt freue ich mich auf einen neuen Weltmeister und hoffentlich einen Sieg im Spiel um den dritten Platz!