Ein letztes Mal in diesem Jahr geht mein Dank für seine Unterstützung an Holger!
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Die Spielplanmacher der DFL hatten es so gewollt, dass das Union-Auswärtsjahr 2009 mit einer spannenden Expeditionsreise ins Ungewisse zu Ende gehen sollte. Es galt eine Stadt zu bereisen, deren Existenz in diversen Verschwörungstheorien angezweifelt wird. Aus meiner persönlichen Warte nicht ganz zu Unrecht, schließlich hab ich in meinem Leben noch keinen Bielefelder persönlich kennengelernt und auch der Bekannte, den es zum Studieren angeblich in eben jenes ostwestfälische Kleinod verschlug, ist seit jeher wie vom Erdboden verschluckt.
Keine risikoarme Kiste also, diese Fahrt mit dem Wochenendticket, weswegen die Zusammensetzung der Reisegesellschaft bis ins kleinste Detail durchdacht werden sollte. Letztlich gelang es dem Gastautor ein nahezu unfassbar kompetentes Expertenteam zusammenzustellen, welchem neben dem Fürsten von Lichtenberg auch ein Exil-Unioner aus Leipzig angehörte, der tatsächlich felsenfest davon überzeugt war, schon einmal in Bielefeld gewohnt zu haben, den Weg dorthin zu kennen und darüber hinaus eine gratis Übernachtung inklusive Vollverpflegung bei seiner Mutter klarmachen zu können. Nun gut, mit diesem geballten Bündel Know-How an Bord konnte die Expedition also am Samstagmorgen mit ’nem Wechselschlüpper und ein wenig Flüssignahrung im Baumwollbeutel einigermaßen beruhigt angegangen werden.
Samstag, Anfahrt:
Die siebenstündige Fahrt verging wie im Flug - Philosophische Diskussionen darüber, ob man es für vorteilhaft erachtet, in Dreileben-Drackenstedt über drei Leben zu verfügen oder ob dies eher zu mehrmaligem Suizid verführen könnte, verliefen ebenso ergebnislos wie die Fragestellung, ob die adipöse Schaffnerin wirklich nur zufällig immer dann grinsend durch den engen Gang fettete, sobald die Reisegruppe pflaumenmusgefüllte Pfannkuchen aus dem Jutesack holte, oder ob dem möglicherweise eine andere Kausalitätskette zu Grunde lag.
Wir passierten unterdessen weitere illustre Weltstädte wie Ovelgünne und Haste-nich-jesehn und mit jedem Blick auf die Uhr wuchs die Spannung: Wann wird es sich auftun, diese ominöse Bielefeld? Existiert es überhaupt? Und wenn ja, wie sieht es aus, wie fühlt es sich an? Punkt 15.57 Uhr war es dann soweit, der Regionalexpress, der wirklich an jeder Milchkanne angehalten hatte, lief im Bielefelder Hauptbahnhof ein. Bielefeld gibt’s also wirklich, dachten sich die beiden Berliner, wobei der erste Eindruck den blumig-fantastischen Beschreibungen des Bielefelderfahrenen Exil-Unioners nahezu 1:1 entsprach, der auf neugierige Nachfragen die Stadt mit “hässliche 60’er Jahre-Bauten und nix zu sehen” in weniger als 30 Sekunden zu charakterisieren vermochte.
Nur unwesentlich länger sollte auch das samstägliche Sightseeing andauern. Nachdem die sehenswerte Sparrenburg besichtigt und der Altstadt-Weihnachtsmarkt abgelaufen war, entschied sich die Reisegruppe für eine ordentliche Portion Sportschau mit regionalen Bierspezialitäten, von denen sich das Detmolder Pils letztendlich durchsetzen und gefeierter Sieger des Abends werden konnte.
Gefeierter Sieger des nächsten Morgens wurde die Bielefeldmutti, die mit einem Frühstück aufwartete, das auch bei spontanem und unerwartetem Eintreffen unserer Mannschaft samt Trainerstab noch alle gesättigt hätte. Der eiserne Cateringpreis in unionrot wird nachgereicht, wobei die Jury zu bemängeln hat, dass es “und niemals vergessen” heißt und nicht etwa “und nicht vergessen”. Danke trotzdem für die netten Grüße auf dem Post-It und ein wenig Luft nach oben sollte man sich immer lassen, stimmt schon.
Sonntag, Spieltag:
Mit dieser netten Grundlage im Magen ging es dann auch schon zum Taschenverstauen in Richtung Bielefelder Hauptbahnhof, Sektion Schließfächer. Anschließend meinten uns ein paar Freiheitsberauber in grün und blau am Biereinkauf und am Verlassen des Bahnhofs vor Ankunft des Sonderzuges hindern zu müssen, doch gegen den unglaublich gewitzten Bonnie & Clyde Plan des Bielefeld-Insiders, den Bahnhof über einen Schleichweg am Gleis 8 zu verlassen, waren die Polizei-Experten dann machtlos. Schön, dass ihr euch mal wieder wichtig machen konntet, der 13.12. ist ja schließlich auch euer Tag, genießt die Umstände, die ihr uns machen konntet, habt ja vermutlich sonst nichts zum drüber freuen…
Das Stadion, die Bielefelder Alm, ist vom Hauptbahnhof fußläufig erreichbar. Bereits von außen sieht es relativ kompakt gebaut aus ohne dabei zu versäumen, sich optisch dem gängigen Bielefelder Chique anzupassen. Etwas beschwerlich gestaltet sich dann der Aufstieg zum Gästeblock, für den man schon Bergsteigerblut in sich tragen muss, sofern man die 5 Treppen ohne aus der Puste zu kommen zurücklegen mag. Oben angekommen stellt man dann fest, dass man nur unten auf Toilette gehen kann und versucht dann gegen den Strom laufend wieder den Erdboden zu erreichen. Nachdem man die Treppen wieder emporgestiegen ist und sich dabei innerlich darüber freut, dass es aufgrund der dürftigen Getränkeangebotslage von alkoholfreiem Bier und Kinderpunsch zu keinen weiteren Toilettengängen kommen wird, entdeckt man dann einen weiteren Ausgang aus dem Block, durch den man innerhalb von 30 Sekunden dort ankommt, wo man grad herkam. Nur ohne 500 Stufen erklimmen zu müssen. Klingt komisch, ist aber so - wer wissen mag, wie genau das funktionieren kann, der wende sich bitte an den Architekten des Stadions.
So langsam näherte man sich in dem mit gut 1.800 Unionern prall gefüllten Gästeblock dem Anpfiff des Spiels, als plötzlich im Nachbarblock auf der Gegengerade zwei widerwärtige Kreaturen auftauchten und mit weinroten Schals und Flaggen mit Russen-D bestückt den dicken Max markieren mussten. Den ersten verdienten Lohn dieser vollkommen geisteskranken Aktion ernteten die beiden germanischen Gottheiten dann in Form von Feuerzeug-, Münzen- und Bierbecherhagel, womit sich aber eine echte Biffze mit einem Intelligenzquotienten unter Raumtemperatur noch lange nicht zufrieden gibt. Anstatt sich danach ein wenig zurück zu ziehen pöbelten die beiden Bowlingkugeln auch noch ältere Unioner an, die sich in diesem neutralen Block befanden. Nachdem der noch hässlichere der beiden seinen Bierbecher in Richtung eben dieser Unioner entleerte, war für den Gästemob kein Halten mehr und gut 30 Mann stürmten über die Absperrung, um dem Kruppzeug die unroten Utensilien zu entwenden und zu ermitteln, ob mittels gezielter Faustschlagtraktierung doch noch eine Verschönerung ihrer Physiognomie zu erreichen ist. Genial, wie der Mob die beiden Flachpfeifen unter “Scheiss-Dynamo”-Rufen des Gästeblocks in Richtung VIP-Bereich trieb, vollkommen ungehindert von Ordnungsdienst und Polizei.
Als die ganze Aktion bereits beendet war und sich die 30 Mann auf dem Rückweg in den Gästeblock befanden, meinte die letztgenannte Sicherheitsinstanz, die zuvor völlig lethargisch am Rand stand und zuschaute, sich doch noch einmischen zu müssen. Ungefähr 10 Minuten zu spät. Wirklich hilfreich wäre gewesen, die beiden Provokateure aus dem Stadion zu entfernen, bevor es so zur Sache ging. Aber vermutlich reicht die Szenekundigkeit der Beamten halt einfach nicht aus, um zu erkennen, dass weinrote Schals mit DDR-Emblem vor dem Unionblock hin- und hergewedelt möglicherweise Aggressionen hervorrufen könnten…
Nachdem die beiden Störenfriede aber im Selbstjustiz-Schnellverfahren aus dem Stadion entfernt worden waren, wurde die “Hilfe” von Team Green nun wirklich nicht mehr benötigt. Schade, dass es aufgrund des Einschreitens der Ordnungshüter zu weiteren Schlägereien und Festnahmen kommen musste und die Presse mal wieder unter Beweis stellen darf, wie schnell man Ursache/Wirkung verquer darstellen und Tatsachen verfälschen kann.
Die Stimmung im proppevollen Gästeblock war jedenfalls auch durch dieses Szenario schon vor Spielbeginn einfach nur genial aufgeheizt. Gesänge in brachialer Lautstärke, Rauch, Pyro, alles voller Leidenschaft, Inbrunst und dermaßen adrenalingeschwängert, dass man ahnen konnte, dass im weiteren Verlauf des Spiels noch etwas passieren wird. Und man beglückwünschte sich schon vor dem Anpfiff zu der Entscheidung, nach Bielefeld gefahren zu sein und mal wieder Zeuge eines Momentes geworden zu sein, der zwar einigermaßen teuer werden dürfte, der sich aber ebenso wunderbar von diesem Langnese-Familienblock-Gedöns anderer Vereine abhebt. Scheiß auf den armenischen Stier - oder was auch immer das Maskottchen der Bielefelder darstellen sollte, scheiß hier einfach mal auf alles - wir sind Union, wir sind hier, wir sind laut und wir feiern hier unsere eigene Party, wir sind eure Hauptstadt, ihr Bauern! So sieht’s doch mal aus.
So oder so ähnlich von sich überzeugt gingen auch unsere Jungs in die Partie, die mit roten Stutzen zu den weißen Trikots nicht nur optisch, sondern mit Peitz und Mac als Doppel-Sechs, Brunnemann rechts und Parensen links offensiv sowie Mosquera als einzige Spitze auch taktisch ein wenig ungewöhnlich daherkamen. Es gelang in den ersten 45 Minuten sehr gut, die Bielefelder vom eigenen Tor fernzuhalten, eine gewisse Spielkontrolle zu erlangen und die wichtigen Zweikämpfe für sich zu entscheiden. Leider blieb jedoch ein Schuss von Brunnemann, der direkt in der Anfangsphase des Spiels nach Abwehr von Bielefelds Schlussmann Eilhoff nur auf der Latte landete, auch die einzige 100% Möglichkeit der Köpenicker Fußballgötter. Dennoch, hält man sich vor Augen, dass hier ein Aufsteiger aus der dritten Liga auswärts gegen einen Aufstiegsaspiranten in die Belle Etage des deutschen Fußballs antrat, dann kann man nur sagen: Chapeau.
In der zweiten Hälfte nahmen die Bielefelder das Heft des Handelns ein wenig mehr in die Hand, zwingende Torchancen sprangen dabei jedoch höchstselten heraus. Der Arminia war anzumerken, dass die Negativserie von 4 sieglosen Spielen in Folge einen großen Ballast darstellte. Dennoch gelang es den blau-schwarzen den Druck nach und nach zu erhöhen, was sich in erster Linie auf die Eckenstatistik auswirkte. Und so flatterten bestimmt 4 oder 5 gefährliche Ecken durch den Union-Strafraum, ehe es Kucera nach gut einer Stunde gelang, eine dieser gut getretenen Standardsituationen per Kopf zu verwerten. Allerdings mit gütiger Mithilfe von Jan Glinker, der eher desorientiert durch seinen Fünfmeterraum irrte. Das Bielefelder Publikum jubelte lautstark und applaudierte brav, sodass man in der Berliner Ecke nach einer Stunde erstmalig von dessen Anwesenheit Notiz nahm. Respekt.
Kurz nach dem Gegentreffer und dem Platzverweis des Bielefelder Spielers Katongo passierte dann das, was ich vor Spielbeginn kommen gesehen hatte: weiterer Rauchbombeneinsatz, rote Bengalos und leider auch ein paar Knallkörper in Richtung Pfeffersprayer und schon war es wieder soweit, die allseits beliebte Standard-Mädchenansage vom Spielabbruch dudelte durchs Stadion, während fleißige Boulevardjournalisten die Notizblöcke zückten und Worte wie “Randale, Krawalle, Ausschreitungen“ und “Hooligans“ notierten.
Nachdem sich der Rauch aus der Arena verzogen hatte und das Spiel fortgesetzt wurde, ließen die Unioner Ball und Gegner laufen und kamen folgerichtig zum hochverdienten 1:1. Nach einer schönen Kombination auf der linken Seite und einer passgenauen Flanke von Parensen nickte Dominic Peitz zum vielumjubelten Ausgleich ein. Der Torpogo war wieder einmal einer der Marke Obersahne und dauerte gefühlte 3 Minuten an. Unglaublich, wie Adrenalin dafür sorgen kann, dass man sich bei Minusgraden die Handschuhe ausziehen und die Jacke aufmachen muss, um körpertemperaturtechnisch wenigstens wieder einigermaßen klar zu kommen.
Riesendusel hatten die Unioner dann im direkten Gegenzug, als ein Treffer von Pavel Fort wegen vermeintlicher Abseitsstellung nicht anerkannt wurde. Anschließend passierte nicht mehr viel, weil Bielefeld nichts zuzusetzen hatte und Union nicht volles Risiko gehen wollte und sich zurecht mit dem einen Punkt zufrieden zeigte.
Nach 9170 km geht für mich eine Auswärtssaison zu Ende. Eine, mit super vielen Highlights, an die man sich noch lange, lange Zeit erinnern können wird. Und mit einer für mich persönlich abgeschlossenen Beweisführung hinsichtlich der Existenz Bielefelds. Grüße an der Stelle an alle Mitfahrer der vergangenen Ziele und allen anderen Unionern wünsche ich ein besinnliches Weihnachtsfest. Man sieht sich am 23.12. zum Singen…
Holger (Eiserner Messias)



Eisern!