Am Mittwoch war bei uns im Unibistro lauter Jubel, als der Führungstreffer der Schweizer fiel. Ausser mir habe ich einen Studenten wahrgenommen, ob Spanier oder nicht, kann ich nicht sagen, der sich über den Treffer ärgerte und laut rief "Das ist so ungerecht!"
Leider habe ich das Spiel Griechenland - Nigeria arbeitsbedingt verpasst, aber ich kann es mir nicht so recht vorstellen, dass die Tore Griechenlands ähnlich bejubelt wurden. Na gut, es eine Spekulation.
Im Fußball haben wir alle unsere persönlichen "Landkarten" mit Städten und deren Vereinen im Kopf. München ist schlecht, Nürnberg ist gut, Hannover ist schlecht, Braunschweig ist gut, Hamburg ist braun-weiss, die Rostocker sind es nicht, also eher schlecht, Siegen ist für mich sowieso gut, weil Heimatstadt, Trier ist ganz schlecht, Dortmund sowieso, und so weiter...
Diese "Landkarte" ist völlig irrational. Das weiss ich selbst, und versuche wenigstens mich beim Besuch der Städte, wenn es nicht um Fußball geht, davon loszumachen, so gut es eben geht. Wenn es um Fußball geht sind meine Sympathien und Abneigungen aber dafür recht fest.
Ich denke, so geht es auch bei Turnieren der Nationalmannschaften. Aussenseiter sind knuffelig, klein und lieb, Favoriten sind groß und böse. Wie sonst waren etwa die vielen Sympathisanten für Trinidad und Tobago oder Jamaica zu erklären, die bei früheren Weltmeisterschaften zu hauf rumliefen?
Afrikanische Mannschaften haben fast immer eine Art Bonus. Das war etwa bei der WM 1990 in Italien ganz deutlich spürbar, als Kamerun riesige Sympathie entgegengebracht wurde. Ähnlich war es 2002 bei der WM in Japan und Südkorea, wo der Senegal eine Art Herzensteam war. Dagegen gilt etwa eine Mannschaft wie Uruguay als "Kloppertruppe", auch mit dem Land kann man nicht viel verbinden. Wenn diese also gegen ein Sympathieteam gewinnt, werden sie umgekehrt eher unsympathisch wahrgenommen. Das gilt übrigens fast nur für Mannschaften aus Schwarzafrika, die Nordafrikaner haben diesen Sympathiebonus eher nicht.
Hat eine Mannschaft einmal ein Image weg, dann bleibt es fest in den Köpfen. So geht es etwa Griechenland. Vor sechs Jahren waren sie für viele von uns die "Spaßbremsen", welche den als spielerischer und sympathischer wahrgenommenen Portugiesen und Tschechen den Titel wegnahmen. Damals war gerade Tschechien nach seinem großartigen Spiel gegen die Niederlande (3:2 nach 0:2-Rückstand) großer Sypathieträger in Deutschland. Griechenland war damals das "Antiteam", "mauerte" sich ins Finale und wurde bestenfalls beim Viertelfinalsieg gegen Frankreich positiv wahrgenommen.
Seit diesem Turnier ist es in Deutschland einfach üblich, Griechenland mit den damals vergebenen Attributen zu belegen. Wie Griechenland auch anschliessend spielte, sie hatten ihr einmal vergebenes Image weg. Das Vorrundenaus bei der Euro 2008 wurde mit entsprechender Häme aufgenommen, wie schon vorher die gescheiterte Qualifikation für die WM in Deutschland.
Interessanterweise hat die Schweiz dagegen eine recht gute Wahrnehmung. Zwar spielte die Schweiz vor vier Jahren einen, meiner persönlichen Meinung nach, noch schlimmeren Defensivfußball als Griechenland 2006. Aber das hat nicht so nachhaltige Erinnerungen hinterlassen. Die Spiele gegen Frankreich, Togo und Südkorea haben nicht wirklich große Aufmerksamkeit erfahren, das Achtelfinalspiel gegen die Ukraine (ein furchtbares Spiel!) fand im direkten Anschluß an den deutschen Sieg gegen Schweden statt, da war man eher im Autokorso als vor dem Fernseher oder Beamer.
Italiens Fußball hatte schon vor dem Sieg bei der WM 2006 bei der Mehrzahl der deutschen Fans (der Deutschen?) keinen guten Ruf, seit dem Achtelfinalspiel gegen Australien, dem verdienten Sieg gegen Deutschland und dem Finalsieg im Elfmeterschiessen sind sie fast vollständig auf "bad guy" gebucht.
Ganz aus der Reihe sehe ich Spiele zwischen Deutschland und der Türkei, denn da spielen sportliche Gedanken und Gefühle auf beiden Seiten wohl eine eher geringe Rolle. Immerhin wird es allgemein wahrgenommen und thematisiert, dass sich viele unserer türkischen Kollegen und Nachbarn mit Deutschlandfahnen eingedeckt haben und diese offen präsentieren.
Als Grieche gilt man bei einigen Deutschen, ganz unabhängig vom Fußball, dank diverser Hetzkampagnen gegen das Land, ohnehin als eine Art europäischer Paria. Wenn eine Nation systemathisch als Heimat schnorrender, arbeitsscheuer und korrupter Tagediebe dargestellt wird, bleibt davon einiges hängen. Beim Fußball wird es dann artikuliert und thematisiert.
Übrigens habe ich den Eindruck, dass viele Deutschen oft ein Problem mit der Eigen- und Fremdwahrnehmung haben. Man möchte scheinbar unbedingt immer und von allen geliebt werden. Erst dann, wenn von aussen eine positive Wahrnehmung artikuliert wird, kann man sich selbst akzeptieren. Und ich kann mir vorstellen, dass viele eigene Komplexe auch gern auf andere geschoben werden, denen man es, wenn die Zeit gekommen ist, gern vorhält. Und was ist eine bessere Zeit als das Weltereignis Nummer Eins, die Fußball-WM?