Löws Klein-Klein
Wenn man unter einem Organisations-Weltmeister eine Organisation versteht, die nach einem langfristigen und exakt kalkulierten Plan vorgeht, um Fußball-Weltmeister zu werden, dann handelt es sich nicht um die deutsche Nationalmannschaft. Zumindest die Kaderplanung, die Joachim Löw vornimmt, vermittelt nicht den Eindruck, dass der Bundestrainer einer klaren Linie folgen würde. Am Abend nach dem Jugendspielchen in Hamburg gegen Polen verkündete Löw wie seit Tagen, in der kommenden Woche mit 25 oder 26 Spielern ins Trainingslager nach Südtirol zu reisen. Als der Deutsche Fußball-Bund am Mittwoch dann aber seine endgültige Reisegruppe ins Passeiertal offiziell bekanntgab, waren daraus über Nacht 27 Spieler geworden. Und aus dem 30er-Kader, der bis Mitternacht an den Internationalen Fußball-Verband übermittelt werden musste, und vor Wochenfrist schon multimedial in der DFB-Zentrale inszeniert worden war, war zur Geisterstunde auf einmal der Augsburger André Hahn verschwunden – dafür fand sich nun plötzlich der Mönchengladbacher Christoph Kramer auf der Liste.
Was ist in diesen Tagen so Überraschendes passiert, dass der Bundestrainer plötzlich ein, zwei Spieler mehr mit ins Trainingslager nimmt, die er dann doch wieder bis zum Meldeschluss des endgültigen 23-Mann-Kaders am 2. Juni aussortieren muss? Nichts. Und was hat die Lage so verändert, dass Löw ein paar Minuten vor Meldeschluss auf einen torgefährlichen, offensiven Mittelfeldspieler im vorläufigen WM-Kader verzichtet und dafür einen defensiven Mittelfeldspieler aufnimmt? Nichts. Außer einem guten Auftritt von Kramer in einem seltsamen Testspiel, das keine zwei Stunden vor Meldeschluss abgepfiffen wurde. Dass es zudem einige deutsche Spieler gibt, die Verletzungen erlitten haben und denen der Rhythmus fehlt, wie Löw als Erklärung hinzufügte, ist nun allerdings seit Monaten bekannt.
Das Nominierungs-Klein-Klein, das sich derzeit rund um das deutsche Team abspielt und im Trainingslager munter weitergehen wird, mag Löw als wichtige Detailarbeit an seinem Kader bis zur letzten Nominierungssekunde betrachten. Aber offensichtlich wird dabei nicht zuletzt die Entscheidungsschwäche eines Bundestrainers, der sich immer wieder schwer damit getan hat, sich personell festzulegen.
Das geht alles auch ganz anders. Weltmeister-Trainer Felipe Scolari von Gastgeber Brasilien etwa hat schon vor einer Woche seinen 23-köpfigen Kader bekanntgeben, jede einzelne Nominierung glich dabei einer Staatsaffäre im WM-Land. Scolari weiß aber offenbar, was er will. Und so hat er nominiert. Basta. Der Bundestrainer hingegen wirkt bei seiner Personalpuzzelei weit weniger souverän, und dabei geht es derzeit nur um die Positionen ganz weit hinten in seinem Team, das in Brasilien bis ins Finale kommen soll. Dabei stehen dem Bundestrainer die wirklich schwierigen Personalentscheidungen in seinem Kader, der trotz einiger Sorgen herausragend besetzt ist, in Brasilien erst noch bevor.
Von Michael Horeni - FAZ (15.05.2014)