KLARTEXT: Götterdämmerung für den Profifußball?
28. April 2020 von Hardy Gruene | Keine Kommentare
KLARTEXT: Götterdämmerung für den Profifußball?
Von Hardy Grüne
Kommt ein Elefant in den Porzellanladen …
Okay, lahmer Einstieg. Und doch hochaktuell. Die Elefanten tragen putzige Namen. Rangnick, Watzke, Hoeneß, Lemke, Keller. Kommen in den Laden und zerdeppern als unzerstörbar geltendes öffentliches Porzellan. Man rauft sich die Haare, wenn man sie in ihrer Selbstgefälligkeit reden hört. Rangnick will gleich die ganze Menschheit retten, Watzke immerhin nur den Fußball. Derselbe Watzke übrigens, der im März noch meinte, Solidarität mit notleidenden Profiklubs sei nicht nötig, weil man sich schließlich in einer Konkurrenzsituation befände.
In Windeseile schwindet in der Bevölkerung das Verständnis für den großen Profifußballzirkus, der „selbstverständlich keine Sonderrolle“ für sich beansprucht, sondern nur rasch wieder spielen und seine Entourage mit regelmäßigen Corona-Tests versorgen will. „Die Gesellschaft kann sich auf uns verlassen“, beteuert der in Krisentagen seltsam abgetauchte DFB-Präsident Fritz Keller, während Willi Lemke fürchtet, die Geisterspiele könnten zu Gruppenansammlungen führen, weshalb ARD und ZDF sie im Free-TV übertragen müssten. Eine Logik, die Uli Hoeneß mahnen lässt, die Öffentlich-Rechtlichen müssten dann dafür aber auch bezahlen. Das Volk bezahlt die exorbitanten Spielergehälter für das selbsternannte Volksvergnügen Profifußball – die Mär von „Brot und Spiele“ scheint bei den Verantwortlichen nicht einmal mehr hinterfragt zu werden.
Solidarität? Wird nur für sich selbst erwartet. DFB-Schatzmeister Stephan Osnabrügge beispielsweise kritisiert die ausbleibende staatliche Unterstützung für die Amateurvereine, vergisst aber zu erwähnen, dass der DFB selbst jegliche Unterstützung ablehnt – das dürfe man schon aus rechtlichen Gründen nicht und könne es sich ohnehin nicht leisten. Was ein Zufall, dass just in diesen Tagen der Prozess um das Sommermärchen 2006 eingestellt werden muss – u. a. wegen Corona. Übrigens: Nicht einmal die Verbandsabgaben der Vereine sind bis heute ausgesetzt – so viel zur Unterstützung der Basis!
Geht es um Druckmittel auf Öffentlichkeit und Entscheidungsträger ist gerne von „der Fußball“ die Rede. Das klingt groß und wichtig. Dabei ist es nicht „der Fußball“, den BVB-Chef Watzke retten will. Es ist das Geschäftsmodell Profifußball, das offenkundig um seine Existenz bangt. Damit ist er nun wahrlich nicht allein, das geht aktuell ja ziemlich vielen Branchen so. Und natürlich ist es auch das Recht (und sogar die Pflicht) von Watzke und Co., um ihr Geschäftsmodell zu kämpfen. Doch keine Branche tritt mit einer vergleichbaren Penetranz und Dreistigkeit auf wie der Profifußball, der sich offenkundig tatsächlich für unersetzlich hält. Und damit alle Fußballer in Geiselhaft nimmt. Denn der Dortmunder Kreisligist fordert keine Geisterspiele, Corona-Tests oder TV-Gelder zum Weiterreichen an sein spielendes Personal. Bei ihm steht eh alles still, und im Idealfall sind die Fußballer in sozialer Mission unterwegs und kümmern sich um die Risikogruppe in der Nachbarschaft.
Während nach außen aufmerksamkeitsheischend und in enger Verzahnung mit dem Boulevardblatt „Bild“ von „der Fußball“ gesprochen wird ist es im Inneren mit Solidarität nicht weit her. Unterstützung der Amateurvereine durch die Bundesliga? Profi- und Amateurlager sind getrennte Bereiche, auch wenn es natürlich „um nichts anderes als die Rettung des Fußballs“ geht. Und die 7,5 Millionen Euro der Topklubs für die Drittligisten und Klubs der Frauen-Bundesliga sind entgegen der Beteuerung von DFL-Chef Seifert ja nun doch zweckgebunden. Und zwar für Corona-Tests und vor allem dafür, dass die Saison 2019/20 beendet werden kann. Bei diesem Thema scheint der Profifußball dann tatsächlich mal in einem Boot zu sitzen. Denn ein Aus für die Frauen-Bundesliga, während die der Männer weiterspielt, ist schwer zu verkaufen.
Die Binnensicht, dass der Profifußball existenziell für das Leben, die Menschheit und den sozialen Frieden im Land ist, wird übrigens von vielen Fans geteilt. Watzke mache einen prima Job, las ich kürzlich auf Twitter, denn er versuche, ein DAX-Unternehmen durch die Krise zu steuern. Wie war das? „Es geht um nichts anderes als die Rettung des Fußballs!“?
Die Aufgeregtheit macht deutlich, dass der Profifußball tatsächlich in eine brisante Lage steuert. Der Kreisligist mit geringen Fixkosten kann die Krise notfalls noch ein paar Monate länger aussitzen – zähneknirschend zwar, aber möglich. Die Bundesliga mit ihrem Kostenapparat jedoch nicht. Als die Corona-Krise begann war ich überzeugt, dass das Profibusiness alles übersteht und die Fans im Sommer in Massen in die Stadien zurückkehren und ihre Heroen in den kurzen Hosen feiern. Das wirkt heute wie ein Traum aus einer fernen Vergangenheit. Denn wann wird „normal“ sein? Noch 2020? Sehr unwahrscheinlich. Im Sommer 2021? Wenn wir Glück haben. Und kommt es vorher noch zur befürchteten zweiten Welle mit dem erneuten Lockdown, der die Nerven vermutlich blank legen würde?
Wie der Profifußball mit seinem geldintensiven Modell, das auf Außenwirkung aufgebaut ist, diese Zeit der Ungewissheit überstehen will, ist mir schleierhaft. Insofern stelle ich mir heute eher die Frage, was für einen Profifußball wir wohl vorfinden werden, wenn „Normalität“ zurückkehrt.
Gehen wir mal rein ins Szenario. Geisterspiele für den Rest der Saison 2019/20 mögen funktionieren, doch sie werden sich nach einiger Zeit abnutzen. Denn ohne Fans ist Profifußball nicht annähernd so attraktiv. Profifußball ohne Stadionzuschauer ist eine andere Art der Unterhaltung und wird auf Dauer nicht funktionieren. Selbst wenn Geisterspiele im Free-TV gezeigt werden sollten, also von allen Gebührenzahlern finanziert werden. (Was im Übrigen die Frage aufwirft, ob es tatsächlich akzeptabel wäre, wenn die exorbitanten Gehälter der Bundesligaprofis vom Gebührenzahler aufzubringen wären. Angesichts der dramatischen Pandemie-Folgen in allen Lebensbereichen in meinen Augen schwer vermittelbar).
Profifußball braucht Publikum, direkten Kontakt, Interaktion. Ganz abgesehen von all den Nebenmärkten und Geldquellen, die das reale Publikum mit sich bringt und die dem FC Bayern oder dem BVB möglicherweise nicht spürbar in der Kasse fehlen, dem 1. FC Kaiserslautern aber sehr wohl. Es gehört also nicht viel Fantasie zum Schreckenszenario: kein Stadionpublikum, weniger TV-Zuseher, Rechteinhaber, die mit Verweis auf verringerte Attraktivität den Preis drücken. Passenderweise stehen ja aktuell die nächsten Rechtevergabe-Verhandlungen an. Und ob die Geisterspiel-Bundesliga da wirklich gute Karten hat?
Das alles trifft einen Markt, der schon vor Corona als überhitzt galt, und der unter dem Stresstest Corona nach nur zwei Wochen erste Untergangssignale gesendet hat. Dank des Entgegenkommens von Sky – Söder, Laschet und der „Bild“-Zeitung sei Dank – konnte das Pleitenszenario zwar abgewendet werden, doch es ist nur eine Rettung auf Zeit. Wie geht es denn in der nächsten Saison, wann immer sie auch beginnt, weiter? Werden die TV-Gelder in gewohnter Höhe (und mit gewohnter wachsender Dynamik) fließen? Zweifelhaft. Wird es gelingen, die finanziellen Strukturen im Spielerbereich den neuen Bedingungen zeitnah anzupassen? Zweifelhaft. Werden Klubbesitzer, Mäzene und Sponsoren mit ihren privaten Geldern dafür sorgen, dass das spielende Personal weiterhin seine gewohnten Summen bekommt? Zweifelhaft. Wird überhaupt kurz- bis mittelfristig irgendjemand in den Profifußball investieren, solange unklar ist, wann es vor Publikum weitergeht? Zweifelhaft. Werden wir angesichts massenhafter Kurzarbeit und drohender Arbeitslosigkeit sowie Pleitewelle noch so konsumieren können wie gewohnt? Zweifelhaft.
Und selbst wenn es eines Tages vor Publikum weitergeht: Wird es dann wieder so sein, wie es vor Corona war? Auch das ist zweifelhaft. Zu tief wird die in diesen Tagen des social distancing und der Maskenpflicht geprägte Unsicherheit vor der Nähe zum Fremden, vor der Ansteckung, vor diesem unsichtbaren Virus-Feind sein. Oder kann sich jemand zur Zeit eine zum Knäuel verknotete jubelnde Menschenmenge auf einer dichtgedrängten Stehplatztribüne vorstellen? Wir alle verändern uns und unser Sozialverhalten gegenwärtig, und auch für uns wird vieles „danach“ anders sein.
Realistisch gesehen wird es wohl erst dann wieder so etwas wie „Normalität“ geben, wenn ein frei verfügbarer Impfstoff existiert.
Diese Krise wird den Fußball verändern. Vor allem den Profifußball. Zum ersten Mal erkenne ich ein Szenario, in dem er es nicht in der bekannten Form überleben wird. Denn die notwendigen Anpassungen in den finanziellen Strukturen, aber auch in der Selbstwahrnehmung bei Vereinen, Verbänden und Fans werden nicht schnell genug gehen. Das konnte man am Wochenende schön beobachten, als Hasan Salihamidzic die Verpflichtung europäischer Topstars für den FC Bayern ankündigte und in Fanforen über 50+1 und die Notwendigkeit einer völligen Öffnung für Investoren diskutiert wurde, weil Deutschland auf internationaler Ebene sonst zurückzufallen würde. Uns alle eint die (blinde?) Überzeugung, dass nach der Krise alles wieder wie vor der Krise ist. Dabei ist längst nicht sicher, ob das nicht nur eine allzu naive Hoffnung ist.
In England schieb ein Kommentator dieser Tage: „Es ist noch immer kaum zu glauben und schwer zu verstehen, aber nichts anderes als der totale Zusammenbruch des Fußballs auf allen Ebenen in Großbritannien steht an. Das da hinten ist nicht das Licht am Ende des Tunnels. Es ist ein sich rasend schnell nähernder Expresszug, und die nächste Haltestelle heißt ‚Stadt der Verwüstung‘“.