Könnte hier rein passen, also ...
Interview mit Helmut Spahn, einige Aussagen sind in Ordnung
FRANKFURT (MAIN)/MZ. Helmut Spahn, der Sicherheitschef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), wechselt nach Katar, um dort die WM 2022 mit vorzubereiten. Unter seiner Führung hat die Arbeit mit dem Thema Sicherheit im Fußball beim DFB eine noch nie gekannte Systematik erhalten. Auch in Halle war Spahn oft zu Gast, um dem Halleschen FC Hilfestellung zu geben. Zu seinem Abschied sprachen Wolfgang Hettfleisch und Jan Christian Müller mit Spahn.
Wenn sich Fußballprofis auf ihre alten Tage noch mal die Taschen vollmachen wollen, gehen die in die Wüste. Ist dieser Vergleich zu Ihnen zulässig?
Spahn: Wie sagen Fußballprofis dann: "Geld spielt keine Rolle, ich habe eine neue Herausforderung gesucht." (lacht). Also: Die Rahmenbedingungen, also auch Geld, spielen natürlich eine Rolle, dürfen aber nicht die überragende Rolle spielen. Die Aufgabe muss an erster Stelle stehen. Auch wenn meine Frau mit unseren beiden kleinen Söhnen nicht mitgehen würde, hätte man mir bieten können, was man will. Ich hätte abgelehnt.
Lassen Sie den DFB im Stich?
Spahn: Nein, ich habe selbst meinen Nachfolger vorgeschlagen, der der richtige Mann für diesen Job ist, sich im Fußball auskennt und den ich eingearbeitet habe. Es wäre überheblich zu sagen, das Feld ist bestellt. Aber als ich 2006 nach der WM hier angefangen habe, ging es noch ordentlich rund, vor allem in den unteren Ligen. Es fehlte am ständigen und intensiven Dialog des DFB mit den Vereinen. Den haben wir aufgebaut. Das größte Problem war, dass der DFB dem hinterhergehechelt ist, was die Medien als Problem dargestellt haben. Nur wusste niemand, ob es sich tatsächlich um ein Problem handelt. Es gab kein verlässliches Lagebild.
Man hat montags die Zeitungen aufgeschlagen und dann hektisch Informationen gesammelt?
Spahn: So ähnlich. Dann haben noch drei Journalisten angerufen, und wir hatten ein Problem. Wir hatten aber vielleicht anderswo in Deutschland ein viel größeres Problem, das aber niemanden interessiert hat. Der DFB hatte eine Art Reflexpolitik betrieben. Es ist beispielsweise eine Mär, dass sich die Gewalt von den oberen in die unteren Ligen verlagert. Wir haben in der ersten Liga aktuell bei weit über 20 Prozent der Spiele Probleme, in den Regionalligen zwischen drei und vier Prozent. Fakt ist: Auch im Straßenverkehr wird es weiter Tote geben, es wird weiter Kriminalität geben und Menschen, die Regeln verletzen. Warum sollten wir den Anspruch haben, dass es bei 80 000 Fußballspielen an einem Wochenende keinen einzigen sicherheitsrelevanten Vorfall geben darf? Das ist unrealistisch. Wir haben über fünf Millionen Spiele ausgewertet in den vergangenen vier Jahren, bei ungefähr 900 gab es gravierende Vorfälle. Das sind nicht mal 0,02 Prozent.
Dennoch klangen Sie zuletzt so, als würden Sie eine härtere Gangart gegen Störenfriede einschlagen und sagen: bis hierher und nicht weiter! Eintracht Frankfurt war gemeint und fand das nicht so lustig.
Spahn: Es muss jedem klar sein, dass es einen Korridor geben muss, in dem wir uns bewegen können. Wird er verlassen, muss es Entscheidungen geben, die dann auch stehen. Die können nicht ständig wieder hinterfragt werden. Ich meine damit nicht nur Eintracht Frankfurt. Es gibt eine Reihe von Klubs, die sich ständig beim DFB beschweren, weil sie Strafen zahlen müssen, nachdem sich ihre Fans nicht ordentlich verhalten haben. Und diese Vereine haben alle eines gemeinsam: Sie haben keine klare Linie. Es darf nicht sein, dass ein Verein mit zwei Stimmen spricht.
Liegt das kontrollierte Abbrennen von Pyrotechnik im Korridor?
Spahn: Oberste Prämisse ist die Sicherheit aller Zuschauer. Wenn jedoch eine Gruppierung, die immerhin für über 150 Fangruppierungen und Ultrabewegungen spricht, sich an uns wendet, die das tumbe Zünden von Böllern und Rauchpulvern nicht gut findet, aber sich eine Möglichkeit wünscht, Pyro und Emotion in Verbindung zu bringen, dann höre ich mir das zumindest an. Zumal die Vereine die Problematik auch durch die noch so intensiven Personenkontrollen nicht in den Griff bekommen haben.
Uns erscheint es so, als laufe das Verhältnis Klubs und Verband auf der einen und Ultras auf der anderen Seite eher in Richtung Verhärtung der Fronten?
Spahn: Es gibt bundesweit 1 500 bis 2 000 Personen, auf die das zutrifft. Das sollte in den Griff zu bekommen sein. Und es gibt 6 000 bis 8 000 Sympathisanten. Wir haben einen Workshop veranstaltet mit Hardcore-Ultra-Führern und mit Polizeiführern, die nicht unbedingt als Fans von Deeskalationsstrategien galten. Nach zwei Tagen haben die sich geduzt und gemeinsam Lieder gesungen.
Die Gefühlslage der Polizei wird seltener transportiert als die der Fans. Sie waren 1987 dabei, als bei den Demonstrationen gegen den Bau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens die tödlichen Schüsse auf zwei Polizisten fielen.
Spahn: Ich war so nah dran, dass die Schüsse auch mich hätten treffen können.
Haben Sie den Eindruck, dass die Nöte und Sorgen der Polizei in der Debatte um Gewalt im Fußball zu kurz kommen?
Spahn: Ich kann verstehen, dass es schwierig ist, wenn du sechs Wochen lang jedes Wochenende bei Fußballspielen eingesetzt wirst und dich mit denjenigen auseinandersetzen musst, die dich anpöbeln und anspucken. Du darfst dennoch niemals die Schwelle erreichen, wo du dir sagst, du hast die Schnauze voll. Denn es kommen ja 99 Prozent der Zuschauer als friedliche Besucher.
Sie sind bisweilen auch als friedlicher Besucher inkognito unterwegs und sollen dabei schon selbst zum Opfer polizeilicher Gewalt geworden sein?
Spahn: Keine Gewalt, nein. Aber es war durchaus ein Eingriff in meine Freiheitsrechte.
Sie wollten nach einem Spiel in Stuttgart einen Freund treffen.
Spahn: Ja, und dann saß ich plötzlich im Zug nach Frankfurt. Ich bin aus der Eintracht-Fankurve zum Zug geleitet worden und habe dann freundlich gebeten, dass die Polizei mich durch ihre Kette lässt. Zunächst gab es zweimal gar keine Antwort, als ich dann etwas deutlicher formuliert habe, dass ich ein Wochenende in Stuttgart plane und nicht nach Frankfurt wolle, kam die Antwort: "Halt die Fresse und steig hier ein!"
Das tut man dann besser auch.
Spahn: Ich bin jedenfalls brav eingestiegen, aber an der nächsten möglichen Station wieder raus. Ein Fußballfan in der Gruppe hätte sicherlich anders reagiert. Aber der einzelne Polizist kann ja nicht in jedem Falle eine Einzelfallprüfung vornehmen, sondern führt seinen Auftrag aus. Den Fans muss klar sein, dass überhaupt keine Polizei nötig wäre, wenn man sich in der Vergangenheit ordentlich benommen hätte.