Inmitten der ostdeutschen Fans eine 20-Mann-Gruppe der Sportfreunde Siegen, welche nicht allzu glücklich schauten
So unterschiedlich sind Wahrnehmungen ...

Wir waren insgesamt dreissig Teilnehmer, weil fünf bereits gemeldete nicht gekommen sind. Da ich einer der Mitfahrer war, kenne ich die Zahl recht genau. Mag aber sein, dass es wie zwanzig rüberkam. In jedem Fall waren wir eine der kleineren Gruppen.
Während des gesamten Marschs liefen wir stets hinter Koblenz, welche mit ihrem hochgehaltenen Banner die Sicht nach vorn abschirmten. Daher musste man sich aus der Gruppe entfernen, um zu sehen, wer denn eigentlich davor lief. Hinter uns ging zunächst BFC Dynamo, dann die Kölner. Und dahinter ging doch Osnabrück, oder erinnere ich mich jetzt falsch? Keine Ahnung, woher der Eindruck des kleinen Grüppchens inmitten der vielen Ostfans kam. Denn bis auf das erste Drittel des Marschs hatten wir eben zwei "Westgruppen vor und hinter uns.
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Auch wenn München mit dem "USK-Vader" zurecht Szenenapplaus beim Einlauf bekam, meinen Kreativitätspreis vergebe ich nach Zwickau! Die waren zwar auch eine eher kleine Gruppe aber mit sehr gutem Liedgut und dies über die ganze Zeit engagiert vorgetragen. Und überhaupt kamen die als sehr kreative und interessanter Gruppe rüber.
Freiburg gefiel mir durch gute Transparente, Dortmund und die Wilde Horde prägten in unserem Teil des Zuges das Liedgut. Scheinbar war es für viele unserer Jungs ein echter Moment, einmal ihre Ultravorbilder in Action zu sehen. Und allein der Kölner Trommler war wirklich ein Erlebnis. Karlsruhe habe ich sehr aktiv in Erinnerung, ebenso Braunschweig. Da ich über lange Zeit ein Banner gehalten habe war ich nicht so viel herumgekommen und kann über die Szenen, die eher vorn oder hinten gingen nicht so viel sagen, also vor allem Hertha und Union. Die Sicht ist immer eingeschränkt und man nimmt vor allem das unmittelbare Umfeld wahr. Bremen, Hannover und Dortmund fand ich sehr präsent, aber auch Wolfsburg und Fürth habe ich deutlich in Erinnerung. Vermisst habe ich Babelsberg, habe aber gar nicht gedacht, dass diese gar nicht da waren. Wie gesagt, man nimmt in einem langen Zug meist nur Ausschnitte war und nur weil man etwas nicht sieht, heisst das noch lang nicht, dass es nicht da war.
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Meine Wahrnehmung vom politischen Gehalt der Veranstaltung ist ein wenig gemischt. Es war sehr bunt und kreativ, und ich hatte den Eindruck, auch die demonstrationsgewohnten Berliner fanden den Aufmarsch bunt und interessant. Es war optisch wie akustisch doch anders als viele andere Demonstrationszüge.
Ohne vielen Teilnehmern etwas böses zu wollen, ich glaube, für viele war es eher eine Art Happening als eine politische Kundgebung. Meine Eindrücke im gemischten Koblenz/Siegen-Bus (ein voller Doppeldecker ist einfach bezahlbarer als zwei nicht ganz gefüllte Einzelbusse) sind natürlich auch nur ein kleiner Ausschnitt aus der großen Masse. Aber wirklich den Eindruck einer Fahrt zu einer politischen Kundgebung hatte ich nur sehr eingeschränkt. Andere Szenen waren sicher besser vorbereitet und hatten einen eigenen Themenschwerpunkt.
Überhaupt, die Themen: Da war die Palette sehr breit: Stadionverbote, Polizeirepression, Eintrittspreise war wohl der Schwerpunkt. Dortmund prägte ihre Umgebung mit einer Fortsetzung der Aktionen, die schon rings um das Derby Aufsehen erregten. Bei anderen Gruppen spielen Eintrittspreise sicher keine so entscheidende Rolle. "Fußball muss bezahlbar sein - für alle!" war eine der nachhaltig in meinem Gedächtnis verbliebenen Forderungen.
Mein persönlicher Favorit war das Transpi "Bunte Kurve statt Fahnenklau". Die Gewalt der Gruppen untereinander war ja schon vorher ein Thema, und ganz ehrlich, empfinde ich es nicht als Heuchelei oder Gutmenschentum wenn man auch auf eigene Fehler hinweist. Allerdings bin auch ich der Ansicht, die Kundgebung wäre der richtige Ort gewesen um dies stärker zum Ausdruck zu bringen.
Ein großes Lob geht auch von mir an die Polizei, welche den Zug vorbildlich eskortierte und sich ansonsten weitgehend zurückhielt. Da mag auch die lange Erfahrung der Berliner Polizei mit Kundgebungen aller Art eine große Rolle spielen.
Leider habe ich von den Lautsprecherdurchsagen fast gar nichts gehört, mit Ausnahme der Phase vor Beginn des eigentlichen Marschs. Daher kann ich fast überhaupt nichts dazu sagen, was von den Veranstaltern kam. Und auch bei der Abschlußkundgebung fand ich die Beschallung alles andere als optimal. Da haben viele von den Reden praktisch gar nichts gehört. Das geht besser, auf weit größeren Demos habe ich deutlich bessere Tontechnik im Einsatz erlebt.
Ich habe, wie erwähnt, schon größere Demonstrationen mit einem klareren Themenschwerpunkt miterlebt, etwa Gegenveranstaltungen zu Naziaufmärschen oder Studentenproteste gegen Studiengebühren. Da war die Mehrheit der Teilnehmer meines Erachtens schon stärker inhaltlich informiert und politisch reflektierter. Diese Demo wurde mehrheitlich von jungen Teilnehmern geprägt, die eben in ihren Ultraszenen die Selbstinszenierung wie auch kreativen Gesang und das Präsentieren von Material gelernt haben. Daher kam sie auch so bunt und vielfältig bei mir an.
Insgesamt war die Fahrt schon recht anstrengend, aber als Veteran vieler Jahre in der Regionalliga Süd sind vielstündige Busfahrten ja nichts neues mehr. Aber diese Demo war auch für mich "alten Sack" in ihrer Vielfalt noch was neues. Hoffen wir, dass sie einen Punkt markiert, an dem Fans aus ganz Deutschland sich gemeinsam stärker als gestaltendes Element in Fußball und Politik einbringen.