Charisteas, Karimi, Annan, am letzten Transfertag langt Magath aber noch mal kräftig zu. Dabei gibt es doch schon im Kader den einen oder anderen Spieler, von dem man seit der Verpflichtung nicht mehr viel gehört hat, oder ...?
Den Fall Draxler sehe ich insofern als etwas besonderes, weil er medienwirksam inszeniert wird. Der Siegtorschütze im Pokalspiel von dem fast gleich darauf berichtet wird, der Trainer habe seinen Eltern geraten, die Schullaufbahn zu unter/abzubrechen damit sich der Sohn auf die Profilaufbahn konzentrieren kann.
Wäre dies nicht so ausgebreitet worden, würden auch wir nicht so viel darüber nachdenken und diskutieren. Denn das, was hier am Fall Draxler exemplarisch vorgeführt wird, läuft doch hundertfach? Tausendfach?
Was ist mit den "Talenten" aus Osteuropa, Nordafrika, Schwarzafrika oder auch Lateinamerika? Auf einen, der einen Vertrag bei einem deutschen oder sonstigen europäischen Erstligisten unterzeichnet, kommen wie viele, die ihre ganze Hoffnung allein auf eine Karte setzten: Profisportler zu werden? Diese haben keine Eltern in der Nachbarschaft, mit denen sich ein Trainer/Sportdirektor persönlich zusammensetzt. Diese sind doch einem System unterworfen, bei dem sie den "Vermittlern" und ihren "Agenturen" völlig ausgeliefert sind. Wenn diese dann etwa nach Deutschland kommen, dann oft ohne Sprachkenntnisse, Zertifikate oder irgendwelche anerkannten Abschlüsse. Sie sind die Billigmasse, aus der heraus sich die Vereine bedienen.
Wenn es einer der jungen Spieler geschafft hat, dann ist er in der Lage nicht allein für sich selbst zu sorgen, sondern, in tradionellen Gesellschaften noch wichtiger, auch für die Familie, die plötzlich umfassend versorgt wird. Das Beispiel wird weitergegeben, zieht Nachahmer an. Profisport in Europa oder den USA ist doch für viele junge Menschen aus ärmsten Verhältnissen (ob in den Ursprungsländern oder in den Reihen der legalen und illegalen Einwanderer) der große Lebenstraum. Für einige wird er wahr, aber was wird aus denen, die namenlos bleiben?
Vor einiger Zeit kam, wie ich mich dunkel erinnere, eine Dokumentation über junge Schwarzafrikaner, die in den Händen von "Agenturen" steckten. Einige reisen von Stadt zu Stadt, Land zu Land, um irgendwo zur Probe zu trainieren und vielleicht einen Vertrag zu bekommen (von dem sie selbst meist anfangs nicht viel haben!) Andere landen in der Halb- oder Illegalität, werden etwa als Erntehelfer regelrecht verschachert. Ich meine, es sei UNICEF gewesen, welches von einem modernen Sklavenhandel sprach.
Was hat das mit Draxler und Schalke zu tun?
Viel, wenn es darauf aufmerksam macht, ob Vereine gerade mit Nachwuchsspielern, die ja so gern als wichtiger Kernbereich der Vereinsarbeit herangezogen werden. (wie viele Kinder hat Euer Verein "von der Straße geholt"? Ganz besonders wichtig zu betonen, wenn man gerade in Schwierigkeiten steckt, etwa in einem Insolvenzverfahren ...!) Gibt es ein Abwägen zwischen Schule, Ausbildung und den Anforderungen des Leistungssports?
Ich persönlich bin auch in der Frage eher konservativ eingestellt, befürworte einen Schulabschluß oder eine Lehre als Alternative zum Fußball. Vor einigen Jahren sprach ich mal länger mit Uwe Helmes, dem Vater von Patrick Helmes, der ausdrücklich darauf bestand, dass Paddy seine Lehre machte. Und ich stimmte ihm zu, obwohl man das Talent von Paddy selbst als Laie erkennen konnte.
Aaaaber: Vielleicht bin ich von den vielen Jahren im Übergangsbereich von Profi- und Amateurfußball zu sehr geprägt. Was wird denn mit den ganzen Spielern, die keinen Erstligavertrag in Aussicht haben wie Draxler? Mit allen, die zwar gute Fußballer sind, aber bei denen es eben für eine längerfristige Profikarriere einfach nicht reicht? Die etwa von Leverkusen langsam bis nach Troisdorf durchgereicht werden? (Da habe ich einen konkreten Spieler vor Augen.)
Diese Spieler haben nie gut genug verdient, um damit Rücklagen zu bilden, von denen man anschliessend, wenn die Laufbahn mal mit 30+ vorbei ist, leben zu können. Meist war auch der kurzfristige "Gewinn" wichtiger: Dicke Karre, Markenwecker am Arm, in der Disse jede Woche 'ne Neue abschleppen (Da habe ich zu viele vor Augen, um sie alle aufzählen zu können, und das allein in unserem provinziellen Siegerland!)
Was bringt denen nach fünfzehn oder wenns gut läuft zwanzig Jahren noch ihr Schulabschluß oder die Ausbildung? Die können trotzdem noch mal ganz von vorn anfangen, weil sie hoffnungslos hinterherhinken. Trotzdem ist es gerade dann wichtig, nicht ganz und gar ohne Zertifikate dazustehen, darauf ist man in deutschen Behörden wie Personalbüros nun einmal fixiert.
Noch etwas abschliessendes. Ich denke, es gibt genug engagierte Menschen, die echten Leistungssport mit einem "normalen" Beruf in Einklang bringen müssen. Was bei Fußballern angeblich auf höchstem Niveau nicht geht, Leistungssport und Beruf, ist anderen Sportlern Alltag. Wenn Draxler einen Mehrjahresvertrag abschliesst, dann gehe ich davon aus, dass man von dem was er an Gehalt und Prämien bekommt, einen ganzen Ruderverein, ein Feldhockeyteam oder eine Leichtathletikmannschaft finanzieren könnte. Ganz abgesehen von möglichen individuellen Verträgen, die natürlich auch nur die wenigsten Fußballer abschliessen können, etwa mit Werbepartnern.
Vor kurzem war ich auf einer Feier zu Gast, wo einige Mitglieder einer Rudermannschaft zu Gast waren. Diese bereiteten sich gerade auf einen Wettkampf in London vor. Das bedeutete intensivstes Training auch bei ungünstigsten Bedingungen. Ergänzt durch individuelles Kraft- und Konditionstraining. Und was kriegen die dafür? Wenn sie nicht zum Bundeskader eines Spitzenverbands gehören, gibt es nicht mal was von der Stiftung Deutsche Sporthilfe.
Draxler sehe ich als einen priviligierten jungen Menschen. (Es sei ihm gegönnt!)
Die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, bekommt kaum ein anderer junger Sportler. Und wenn er die zehnte Klasse abgeschlossen hat, dann steht er auch nicht ohne Schulabschluß da. Das Abitur ist nicht der alleinige Weg zum persönlichen Glück. Auch wenn dieser gerade für junge Menschen mit Hauptschulabschluß um so schwerer fällt, aber das ist wieder ein anderes Thema.